Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
frisch gebügelte Deputy-Uniform von Mark Warren. Selbstverständlich passte sie nicht richtig, besonders an den Armen; die Ärmel waren zu lang, also strickte er sie auf. Und die Hose kann man schließlich auch aufschlagen. Sieht zwar ein bisschen komisch aus, aber es wird mich schließlich nur Mrs. Rosner zu Gesicht bekommen (und der Bankräuber), dachte Joshua. Ihr grauer Star schränkte ihr Sehvermögen ohnehin ein, wenn sie überhaupt auf den Sitz der Uniform achtete. Zu guter Letzt setzte sich Joshua noch den Stetson auf - zumindest beim Hut hatten sie dieselbe Größe - und natürlich montierte er noch den Stern auf seine Brust.
Einen Moment lang betrachtet er sich im Spiegel und staunte.
Ich sehe aus wie Wyatt Earp kurz vor der Schießerei am O.K. Corral.
Er machte es wie Sheriff Callahan. Nahm noch einmal den Cowboyhut von seinem Kopf und fuhr sich mit der anderen Hand durchs Haar. Er hatte keine so große Mühe wie Callahan, die Haare unter dem Hut zu verstecken. Joshuas Kopfhaar war praktisch nicht mehr vorhanden. Vermutlich lag der immense Haarausfall an den sogenannten Wunderpillen seiner Mutter. Die paar verbliebenen Strähnen legte er behutsam nach hinten und setzte erneut den Hut auf. Zum Abschluss tippte er an die Krempe und zwinkerte seinem Spiegelbild zu.
Seine Mutter wäre stolz, würde sie hier sein. Ich könnte sie ja besuchen und ... nein, es könnte dich jemand sehen. Fahr zu der alten Schabracke und sieh zu, dass du wieder zurück bist, ehe jemand Wind von dieser Sache bekommt, dachte Joshua und fuhr mit seinem alten Dodge zu der Alten. Es war ganz in der Nähe. Sie wohnte lediglich zwei Straßen weiter.
Eleonore Rosner wartete bereits ungeduldig in ihrem Vorgarten. Sie schien noch um ein ganzes Stück gealtert zu sein, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Und das war vor drei Monaten beim Einkauf gewesen. In ihrem viel zu weiten blauen Sommerkleid und den toupierten weißen Haaren, die seltsamerweise immer einen lila Stich zu haben schienen, sah sie fast gespenstisch aus. Die runzlige, vertrocknete Haut in ihrem Gesicht und auf den Händen tat ihr Übriges.
Wir werden mal alle so aussehen, dachte Joshua. Wenn wir überhaupt so alt werden.
Für ihr Alter war Mrs. Rosner aber noch gut beisammen. Abgesehen von Anflügen leichter Senilität. Auch ihr Sehvermögen war im Alter schlechter geworden. Doch ansonsten war sie in guter körperlicher Verfassung. Sie war noch nicht einmal auf einen Stock angewiesen und marschierte leichtfüßig durch die Gegend.
Joshua stieg aus, blickte sich verstohlen um, ob ihn jemand beobachtete – niemand zu sehen, der ihn verpetzen könnte -, und ging auf sie zu.
»Hi, Mrs. Rosner. Hier bin ich.« Joshua klopfte sich auf die Hutkrempe.
»Oh Deputy, danke, dass Sie gekommen sind. Wollen Sie ein paar selbstgebackene Kekse?«
»Nein, danke«, sagte Joshua, aber das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Diese Kekse waren einfach unglaublich köstlich und es fiel ihm schwer sie abzulehnen. »Ich bin wegen Herb hier, ihrem Kater.«
Für einen Moment schien die alte Frau keine Ahnung zu haben, wovon er sprach. Dann, als sie begriff, hellte sich ihr Gesicht auf. Sie sagte: »Ja, richtig. Herb ist ... ich weiß nicht wo er ist.«
Joshua seufzte und runzelte seine Stirn.
»Deswegen bin ich doch hier. Sie haben mich angerufen, weil Sie nicht wissen, wo er ist. Sie sagten etwas von einer Höhle oder so.«
»Was? Jaaa, richtig. Herb ist fort. Sie werden ihn suchen? Das ist nett. Können Sie auch gleich nach Jack suchen?«
Er seufzte nochmals. Das hier würde länger dauern, als angenommen. Joshua beugte sich vor und erhob seine Stimme.
»Mrs. Rosner. Ihr Mann Jack ist tot, das wissen Sie doch. Er ist in der Normandie gefallen. Schon vor langer Zeit.«
Sie wich mit einem Ausdruck blanken Entsetzens ruckartig zurück und hielt sich die Ohren zu. Wenn sie es nicht hörte, war es vielleicht nicht real. Dann lebte Jack noch.
Joshua bemerkte seinen Fehler. Er war viel zu direkt gewesen. Wenn er doch bloß nachgedacht hätte, bevor er seine große Klappe aufgemacht hatte. Nun hieß es den Schaden in Grenzen zu halten.
»Tut mir leid, Mrs. Rosner. Ich wollte nicht ...«
»Brüllen Sie doch nicht so rum, mein Junge. Ich bin ja nicht taub.« Eleonore Rosner steckte sich den kleinen Finger ins Ohr und schüttelte ihn, so als wolle sie eine Verstopfung im Gehörgang lösen. Der Schock war wie Laub im Herbst von ihr abgefallen.
Joshua fragte sich, ob sie sich noch
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