Dark Village - Das Böse vergisst nie
versuchte Benedictes Mutter, sich zusammenzureißen. Morgen würde ihr Mann zurückkommen. Sie zog sich etwas Schönes an, bürstete sich ewig die Haare und trank Unmengen von Wasser.
Benedicte hatte gehört, dass manche Tabletten den Körper austrockneten.
So viele Pillen, wie ihre Mutter einwarf, musste sie sich wahrscheinlich ein oder zwei Tage mit offenem Mund unter die Dusche stellen.
Ihre Mutter wollte nett sein, aber es fühlte sich alles nur krampfig an. Ihr Gesicht zuckte nervös, ihre Mundwinkel ruckten und hüpften.
Sie hatte das Haus verlassen – in ihrem Fall eine enorme Leistung – und hatte Süßigkeiten und Limo gekauft.
„Willst du?“, fragte sie. „Es ist genug da.“
Benedicte betrachtete die riesige Schale auf dem Wohnzimmertisch, die bis zum Rand mit buntem, klebrigem Gummikram gefüllt war.
„Nein.“ Benedicte schüttelte den Kopf.
„Aber …“, sagte ihre Mutter.
„Vergiss es“, zischte Benedicte.
Fuck you
. Sie wandte ihrer Mutter den Rücken zu und ging hoch in ihr Zimmer. Sie schloss die Tür ab. J
etzt reißt du dich plötzlich zusammen, weil er morgen wiederkommt. Du tust das nur für dich. Nicht für mich. Nie tust du irgendwas für mich. Fuck you. See if I care.
Benedicte setzte sich an den Schreibtisch vor den Laptop. Sie öffnete die Playlist mit ihren Lieblingssongs und klickte ein Lied an, das ihr normalerweise gute Laune machte.
I believe in angels
Something good in
Everything I see.
Es half ein bisschen. Die Stimme, die Melodie – hell und leicht, vertraut und schön. Benedicte summte. Sie ging ins Internet und checkte ihre E-Mails. Nichts Neues, nur ein paar Spammails. Sie klickte sich in ihr Profil bei sweetest.com.
Sie hatte zehn Fotos von sich hochgeladen. Sie zeigten nur ihren Körper in einem winzigen Bikini und waren am Hals abgeschnitten, sodass sie niemand erkennen konnte. Sie hatte die Fotos vor ein paar Wochen eingestellt, und inzwischen machten sich nicht mehr viele Leute die Mühe, für sie abzustimmen. Auf der Top-50-Liste war sie auf Platz 23 gerutscht.
Sie musste neue Bilder hochladen. Aber immerhin hatte sie ein paar positive Kommentare bekommen. Ein Typ, der sich
Wolfman
nannte
,
schrieb:
Du bist das schönste Mädchen hier. Schade, dass du dich nicht traust, mehr zu zeigen.
Benedicte zog die Nase kraus. Sie ging noch mal auf die Startseite und guckte sich die Top 50 an.
Das Mädchen auf Platz eins hatte eine riesige Bildergalerie. 142 Fotos, und viele davon waren oben ohne … Sie hatte massenhaft Votes gesammelt. Aber auch bei ihr war nirgendwo das Gesicht zu sehen. Sie versteckte sich hinter ihren langen dunklen Haaren.
Das kann ich auch.
Benedicte klickte von Bild zu Bild. Sie waren nicht schlecht. Oben ohne und ein winziger Bikinislip, aber trotzdem wirkte es nicht nuttig, keine gespreizten Beine oder so.
Schade, dass du dich nicht traust, mehr zu zeigen …
Benedicte hatte Lust dazu – und auch wieder nicht. Am liebsten würde sie drauf pfeifen, was üblich und normal war und was der Rest der Welt dachte. Aber gleichzeitig … Was wollte sie selbst? Scheiß auf die Welt, was wollte SIE? War das Ganze nicht superbillig?
Aber billig bin ich ja sowieso. Wo ich sogar eine Vergewaltigung herbeilüge, wenn ein Typ keinen Bock hat, mit mir zu schlafen!
Der Gedanke hing noch immer in ihr fest. Er war groß und schwer und dröhnte durch ihren Körper.
Lügen … Vergewaltigung … ficken …
Benedicte zuckte zusammen. Es fühlte sich an, als hätte ihr Herz einen Schlag ausgesetzt. Sie bemerkte, dass sie lange einfach nur dagesessen und nachgedacht hatte. Ihre Hände lagen steif auf dem Tisch, und ihr Kopf war seltsam leer.
Sie streckte ihre Finger, dann schloss sie den Browser. Und erst in dem Moment, als sie nicht mehr im Netz war und das Lied zum dritten oder vierten Mal von vorn begann, merkte sie, dass sie weinte.
Ihre Wangen waren tränennass und ihre Lippen schmeckten salzig. Sie versuchte ein Lächeln.
I believe in angels
When I know the time
Is right for me
I’ll cross the stream
I have a dream.
7
An diesem Abend nahm eine der vier Freundinnen wieder ihr Tagebuch in die Hand.
Sonntag,
schrieb sie und dachte nach.
Sie hatte ein gutes Versteck für das Buch gefunden, aber trotzdem konnte man nie sicher sein. Vielleicht entdeckte es doch mal irgendjemand. Durch Zufall oder gezielt. In einem Monat oder einem Jahr oder wenn sie tot war. Irgendwann.
Sie durfte nicht zu ausführlich werden, sondern würde nur so
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