DARKNET
Sebeck wusste, dass Anderson genau wie er zu den Daemon-Agenten gehörte. Er konnte sich immer noch nicht vorstellen, welchen Part sie in Sobols Masterplan spielte. In den zwei Jahren, die er vor seiner gefakeden Hinrichtung im Gefängnis gesessen hatte, war es Anderson gelungen, sich mit einer Mischung aus sexualisierter Unschuld und selbstgerechter Empörung vom Niemand zur Prime-Time-Quotenkönigin aufzuschwingen. Ihre Berichterstattung hatte Sebeck in den Medien zu einem berüchtigten Serienkiller stilisiert, und das hatte natürlich ganz zentral mit dem Daemon zu tun gehabt.
«Wie können Sie diesen Mist nur gucken?»
«Anji? Die ist doch toll. Ich find sie irre gut. Sie macht eine ganze Serie über den Dollar-Zusammenbruch. Der ist nämlich schon im Gang. Dagegen kann man gar nichts mehr machen. Ich horte Zigaretten. Nach dem Crash sind die wie Gold.»
Er starrte sie an, weil er sich zuerst nicht sicher war, ob sie das ernst meinte. Dann ging er kopfschüttelnd hinaus.
Sebeck saß am Hang eines Wüstenhügels in der frischen Nachtluft und starrte in einen funkelnden Sternenhimmel. Die Milchstraße war ein heller Nebelstreif in seinem Augenwinkel. Er atmete tief durch und lauschte der Stille.
Es tat gut, mal vom Highway runterzukommen.
Sebeck war seit Wochen unterwegs, folgte einer Linie, die nur er sehen konnte, zu einem Bestimmungsort, den er nicht kannte. Vor dieser Reise hatte er die moderne Welt nie als eine Maschine betrachtet – und die Menschen nur als Rädchen ihres Getriebes. Aber es hatte sich so viel verändert seit seiner Verhaftung und Hinrichtung durch die Regierung – und seiner anschließenden Rettung durch den Daemon.
Für ihn als Polizisten war es schwer zu akzeptieren, dass Recht und Gesetz eine Illusion waren. Wenn die da oben einen als Bedrohung identifizierten, ganz gleich ob zu Recht oder zu Unrecht, wurde man vernichtet.
War das die Lektion, die ihm Matthew Sobol hatte erteilen wollen, indem er die Person vernichtete, die Sebeck gewesen war? Sebecks einziger Verbündeter war jetzt das, wogegen er gekämpft hatte – der
Daemon
. Niemand wusste, wie weit dessen Macht reichte und ob er noch aufzuhalten war. Und der tote Mann, der der Schöpfer des Daemon war, hatte Sebeck eine Aufgabe gestellt, die alles andere als leicht zu lösen war:
Finden Sie eine Rechtfertigung für die Freiheit der Menschen.
Da dieser Auftrag von einem Software-Konstrukt kam, das bereits den Tod von Tausenden Menschen organisiert hatte, nahm Sebeck ihn mehr als ernst – und hatte gleichzeitig keine Ahnung, wie er ihn erfüllen sollte.
Jeden Tag folgte er dem
Thread
– einer leuchtend blauen Linie in einer virtuellen Dimension, die die Daemon-Agenten den D-Raum nannten und die als visuelle Markierung über das GPS -Gitter gelegt war. Es war eine erweiterte Realität, deren 3D-Objekte nur durch die HUD -Brille sichtbar waren, die ihm der Daemon hatte zukommen lassen. Der Thread hatte Sebeck wochenlang durch den amerikanischen Südwesten geführt und jetzt auf diesen Hügel in der Wüste von New Mexico. Was oder wo auch immer Sebecks Ziel war, es schien, als wäre er bald da.
In dem Moment hörte Sebeck auf dem Pfad unter sich angestrengtes Schnaufen. Im D-Raum sah er ein geisterhaftes Namens-Callout auf und ab wippen. Namens-Callouts ermöglichten es, andere Mitglieder des Daemon-Darknets zu identifizieren. Die glimmenden Wörter
Chunky Monkey
schwebten einen Meter über einer birnenförmigen Silhouette, die im Dunkeln näher kam. Es war der Netzwerkname von Laney Price, dem Aufpasser, den ihm der Daemon mitgegeben hatte. Sebeck wusste, dass über seinem eigenen Kopf ein entsprechendes Callout mit der Inschrift
Unnamed_
1
im D-Raum schwebte. Matthew Sobol hatte ihn seines Namens entkleidet, indem er Sebecks Existenz für die reale Welt ausgelöscht und ihm ein neues Leben im Darknet verschafft hatte.
Sebeck wartete, während Price auf ihn zustapfte und sich dann neben ihm auf den Boden fallen ließ. Der schwache Lichtschein von Pico-Projektoren in Price’ HUD -Brille erhellte das Gesicht eines jungen Mannes in den Zwanzigern mit einem dichten Bart und einer wirren schwarzen Haarmähne. Die sichtbaren Hautpartien glänzten von Schweiß.
«Hätten wir nicht … warten können … bis es hell ist … Sergeant?»
«Der Thread hat uns noch nie vom Highway weggeführt. Wir sind ganz in der Nähe von irgendwas.»
Price sah sich müde um. «Er führt Sie echt hier raus?»
Sebeck sah die
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