Darkover 03 - Herrin der Falken
flammende Sonne hinter sich hatte und sie nur ein Stern unter Sternen war. Romilly blickte von irgendwo auf die Welt mit den vier Monden hinunter, die einem juwelenbesetzten Halsband glich, und jemand sagte in ihren Gedanken: Hali ist die Konstellation von Taurus, und Hali ist das alte terranische Wort für Halsband in der arabischen Sprache. Aber Worte und Welten waren bedeutungslos für sie. Langsam, langsam senkte sie sich nieder, und das große Schiff lag zerschmettert zwischen den niedrigen Gipfeln der Kilghardberge, und ein Geisterwind wehte über die Täler hin… und eine dünne, kühle Stimme in ihrem Kopf bemerkte: Rassenerinnerungen sind nie nachgewiesen worden, denn Teile des Gehirns sind der Wissenschaft immer noch unzugänglich… Dann flog sie am Rand der Hellers entlang. Aber die Gletscher hauchten sie mit ihrem eisigen Atem an, ihre Flügel begannen zu erstarren, die schreckliche Kälte drückte ihr Herz zusammen, verlangsamte die Flügelschläge, und dann brach eine Schwinge, hart wie Eis, und zersplitterte mit einem fürchterlichen Schmerz in Kopf und Herzen. Die andere Schwinge, weiß und gefroren und steif, wollte nicht länger schlagen, und schreiend fiel und fiel sie…
»Romilly! Romilly!« Lady Maura schlug ihr leicht auf die Wangen. »Wach auf! Wach auf!«
Romilly öffnete die Augen. Das Zelt war von weichem Laternenlicht erhellt, aber sie fror immer noch inmitten der Gletscher, und ihre Flügel waren gebrochen…. Sie spürte die scharfen, zackigen Bruchkanten nahe ihrem Herzen, wo sie in der Kälte gerissen und abgesplittert waren… Maura faßte sie an den Händen. Verwirrt fand Romilly ihren eigenen Körper wieder. Etwas Fremdes berührte sie… Maura war innerhalb ihres Körpers, prüfte mit mentalen Fingern Herz und Atmung… Romilly machte eine abwehrende Geste, und Maura sagte sanft: »Lieg still, laß mich dich überwachen. Hast du viele solche Anfälle der Schwellenkrankheit gehabt?“
Romilly schob sie weg. »Ich weiß nicht, wovon du redest. Es war ein schlechter Traum, sonst nichts. Ich muß übermüdet gewesen sein. Ich habe noch nie so etwas mit den Vögeln gemacht, und es war anstrengend. Die Leroni sind vermutlich daran gewöhnt.«
»Ich wünsche, du ließest dich von mir überwachen, damit ich feststellen kann…«
»Nein, nein. Mir fehlt nichts.« Romilly drehte der anderen Frau den Rücken und lag still. Maura seufzte und löschte die Laterne. Romilly fing einen Bruchteil ihres Gedankens auf: Stur, aber ich will mich nicht aufdrängen. Sie ist kein Kind mehr, vielleicht ihr Bruder… Dann schlief sie ein, diesmal ohne Träume.
Am Morgen hatte sie immer noch Kopfschmerzen, und ihr wurde von dem Gestank des Vogelfutters übel, als sei sie vier Monate schwanger, sagte sie ungeduldig zu sich selbst. Nun, was ihr auch fehlen mochte, das war es nicht, denn sie war ebenso Jungfrau wie eine vereidigte Leronis. Vielleicht stand ihre Periode dicht bevor – sie hatte bei der Aufregung über die Ankunft der Armee und bei ihrer intensiven Arbeit mit Sonnenstern vergessen, die Tage zu zählen. Vielleicht auch hatte sie etwas gegessen, das ihr nicht bekommen war. Ganz bestimmt stand ihr der Sinn nicht nach Frühstück. Nachdem sie die Vögel versorgt hatte, stieg sie ohne jede Begeisterung in den Sattel. Zum ersten Mal in ihrem Leben dachte sie, daß es recht angenehm sein müsse, im Haus zu sitzen und zu nähen, zu weben oder sogar zu sticken.
»Du hast ja gar nichts gegessen, Romilly«, protestierte Ruyven. Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich habe mich gestern erkältet, als ich nach Sonnenuntergang so still im Sattel gesessen habe. Ich will nichts.«
Er musterte sie, so dachte sie, als sei sie in Raels Alter. »Weißt du nicht, was es bedeutet, wenn du nicht essen kannst? Hat Lady Maura dich überwacht?«
Es war nicht wert, darüber zu streiten. Romilly antwortete scharf: »Ich werde beim Reiten ein Stück Brot essen.« Sie nahm den mit Honig bestrichenen Kanten entgegen, den er ihr reichte, biß ein paarmal ab und warf ihn heimlich weg. Ranald ritt mit leerem Gesichtsausdruck. Romilly hatte inzwischen gelernt, daß so ein Telepath aussieht, der mit seinen Gedanken anderswo ist. Endlich kehrte er zurück und sagte: »Ich muß wissen, wie weit es bis zum Haupttrupp der Armee ist. Carolin wird heute irgendwann zu uns stoßen, obwohl er ein gutes Stück hinter uns ist. Romilly, willst du deinen Vogel auflassen und versuchen, Carolins Armee
Weitere Kostenlose Bücher