Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
mehr geben, um die Neubestellungen kümmert sich außer mir niemand, und zu Hause habe ich einen Block mit Blankorezepten für den Fall, dass eine Inventur durchgeführt wird. Aber es wäre nicht klug. Ein Junkie ist nur dann kontrollierbar, wenn er richtig eingestellt ist. Hat er zu starke Entzugserscheinungen, so ist er unberechenbar, was wiederum sehr gefährlich sein kann. Hat er hingegen nur geringe Entzugserscheinungen, so gibt ihm das zu viel Freiraum. Er wird dann unzuverlässig. 100 Milligramm pro Tag müssten dafür sorgen, dass Mr. Ward morgen um dieselbe Zeit wieder auftaucht. Dass alles an seinem Platz ist.
Die Spätschicht endet um Mitternacht. Es hat aufgehört zu regnen. Das gelbe Licht der Straßenlampen spiegelt sich in gefrorenen Pfützen. Hier und da erinnert grauer Matsch an den ersten Schnee.
Ich schlage den Kragen hoch. Ein Schatten löst sich aus einem der Hauseingänge und kommt auf mich zu. Ich bleibe stehen, ich will zurück in den Drugstore laufen, doch dann erkenne ich ihn. »Mr. Ward!«
»Ich wollte Sie nicht erschrecken.« Seine Augen glänzen träge. »Ich wollte … ich wollte mich bei Ihnen bedanken.« Er spricht langsam, schwerfällig. So als bereite es ihm große Anstrengungen.
»Wofür?«, frage ich.
»Weil Sie mir geholfen haben.«
»Das ist mein Job«, sage ich. »Ich helfe Menschen.«
»Ja.« Sein Blick entgleitet kurz, bleibt irgendwo oberhalb meiner rechten Schulter hängen. »Trotzdem …«
»Machen Sie sich keine Gedanken, Mr. Ward. Das wird schon wieder.«
Einen Augenblick lang stehen wir uns schweigend gegenüber.
Dann zeigt er auf die andere Straßenseite: »Was ist das für ein Gebäude?«
»Sie sind wirklich erst seit kurzem hier«, sage ich. »Das ist der Hudson Tower.« Er wiederholt den Namen. »So was wie das Wahrzeichen Portervilles. Sollten Sie sich einmal verlaufen, dann müssen Sie nur nach oben schauen. Den Hudson Tower kann man von überall aus sehen.«
»Ja«, murmelt Ward. »Genauso wie er Sie überall sehen kann.« Seine glasigen Augen gleiten die Fassade hinauf.
»Wie meinen Sie das?«
Er antwortet nicht. Wahrscheinlich ist sein Verstand schon zu weit weg.
»Haben Sie keine Angst?«, fragt er.
»Sollte ich?«, frage ich zurück.
»Ich hätte Angst. Wenn er einstürzt, wird er alles unter sich begraben.«
Ich drehe mich um. Einige der oberen Stockwerke sind erleuchtet. Der Rest ist schwarze Fassade und die Lichter der Stadt, die sich darin spiegeln.
Hinter mir sagt Ward: »Wer lange genug am Fuße des Riesen verweilt, der … der wird irgendwann von ihm zerquetscht.«
»Das werden Sie und ich nicht mehr erleben. Er wird uns alle überstehen, glauben Sie mir.« Und dann erinnere ich mich an eine uralte Regel und frage: »Kennen Sie den Darkside Park, Mr. Ward?«
Er antwortet nicht. Ich drehe mich um. Mr. Ward ist verschwunden.
»Was ist denn nur in dich gefahren?«, fragt Amanda und sieht mich an.
Auf der Bühne ruft der dicke Mann mit dem lilafarbenen Jackett »68« ins Mikrofon, und wir streichen die Zahl auf unseren Karten mit breiten Filzstiften an. Der Saal ist voll wie jeden Dienstagvormittag. Die Symphonie aus Husten und Niesen erklingt jetzt im Winter sogar mehrstimmig.
»So habe ich dich noch nie erlebt!«, sagt Amanda neben mir.
»Irgendwann musste er platzen«, sage ich.
»Wer musste platzen?«
»Der rote Ballon.«
Meredith dreht sich zu uns um. »Was ist denn passiert?«
»Sie hat Sophia geohrfeigt.«
»Wer? Kate?«
»Ja.«
»Mit Schwung?«, fragt Meredith und grinst.
»Sophia ist völlig durchgedreht, sie wollte sich gar nicht mehr beruhigen«, sagt Amanda. »Wir waren kurz davor, einen Krankenwagen zu rufen. Dann wurde sie plötzlich ganz still und ist gegangen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört.«
»Na ja, verdient hatte sie es mit Sicherheit«, sagt Meredith und dreht sich wieder nach vorn.
Aus den Lautsprechern ertönt ein »43«, und die Filzstifte verrichten ihre Arbeit. Ich habe zwei Karten, Meredith nimmt immer nur eine, sie braucht nicht mehr. Amanda hat heute sogar sechs – der zweite Preis ist eine Stola aus Waschbärfell. Als sie alle Karten überprüft und alle Zahlen angestrichen hat, frage ich: »Weißt du, warum Dorothy uns das gefragt hat? Ob wir mit den Geschenken aufhören wollen?«
Amanda zuckt mit den Schultern. »Ich denke, das war so was wie ein Test. Du weißt doch, wie sie ist. Sie wollte sehen, wie wir reagieren. Vielleicht ahnt sie, dass wir etwas wissen.«
»Mir kam
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