Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
Lenkrad. Der Polizist beugt sich zu mir hinunter. Seine Hand liegt auf dem Revolverholster. »Wo wollen Sie hin, Sir?«
Aus irgendeinem Grund verbergen die meisten Uniformierten ihre Augen hinter einer Sonnenbrille. Es verleiht ihnen etwas Reptilienhaftes.
»Zu Dr. Barrett«, antworte ich. »Ich bin sein Patient.«
»Sie sind Daniel Chester Kipling«, stellt der Beamte mit tonloser Stimme fest. Es gibt für ihn ein Dutzend Möglichkeiten, meine Identität festzustellen.
Ich nicke nur.
»Dr. Barrett ist ermordet worden. Die Verhaftung der Täter steht unmittelbar bevor.« Er spricht in einem Tonfall, als würde er das Wetter kommentieren.
»Aber ...«, bringe ich nur hervor. Schlagartig bricht mir der Schweiß aus. Grelle Punkte blitzen vor meinen Augen auf.
Der Polizist reicht mir eine Visitenkarte. »Im Notfall wenden Sie sich an den psychologischen Dienst.«
Er dreht sich um und kehrt mit wiegendem Schritt zu seinem Wagen zurück. Auf der Karte steht nur eine vierstellige Telefonnummer: 2-7-0-3.
Ich habe meine letzte Tablette vor dem Frühstück eingenommen. Ich brauche Nachschub. Sonst kommt spätestens am Abend die Angst zu mir. Ich glaube zu spüren, wie erste Anzeichen – düstere, nebelhafte Fragmente – aus den Tiefen meiner Erinnerung an die Oberfläche drängen. Und ich stelle fest, dass mich Barretts Tod überhaupt nicht berührt. Ich will nur meine Medizin.
Außer dem Monet gibt es im Hudson Tower noch fünf weitere Fahrstühle. Zweckmäßig und schmucklos sind sie. Keiner von ihnen reicht auch nur annähernd an die Pracht des Monets heran. Aber nach und nach hat man auch ihr Inneres mit Gemälden geschmückt.
Mit einem Van Gogh, einem Chagall, Botticellis ›Geburt der Venus‹ und einem Portrait des Dichters Lord Byron.
Im Gegensatz zum Monet handelt es sich dabei jedoch nicht um Originale, wie mir der Bürgermeister anvertraute.
Lediglich das Gemälde in Aufzug Nummer fünf ist kein Nachdruck. Es zeigt eine gedrungen wirkende Frau mit schwarzen Haaren. Sie blickt mit starrer Miene aufs düstere Meer hinaus. Am Horizont kämpft ein alter Raddampfer gegen den starken Wellengang an. Er hat bereits starke Schlagseite. Ein bedrückendes Bild. Kein Vergleich zu meiner Schönen im Sonnenlicht.
Seit Dienstantritt versuche ich, mich an das zu halten, was mir Dr. Barrett bei einer, wie er es nannte, Minimalkrise geraten hat. Positiv denken! Sich permanent der eigenen Stärke bewusst sein. Keine schlechten Gefühle zulassen. ›Ich bin durch meine Arbeit privilegiert!‹
Im Gegensatz zu den fünf anderen Fahrstuhlführern soll ich meine Gäste stets bei geöffneter Tür empfangen. Meine Kollegen hingegen haben seit einiger Zeit die strikte Anweisung, hinter geschlossener Tür auf Kundschaft zu warten. Wie erniedrigend!
Ich ertappe mich dabei, wie ich zum wiederholten Mal den korrekten Sitz meiner Uniform überprüfe. Ich habe mir auferlegt, bis zwölf Uhr mit dem Anruf beim psychologischen Dienst zu warten. Auf keinen Fall möchte ich den Eindruck von Hektik und Nervosität erwecken. In Porterville wird das Verhalten jedes Einzelnen analysiert. Ich hebe meine Hand auf Augenhöhe. Sie zittert nicht.
Die Tür im Foyer öffnet sich, Maria vom Empfang spult ihr obligatorisches »Herzlich willkommen im Hudson Tower, Glanz und Stolz von Porterville ... und so weiter« ab.
Touristen.
Ich trete aus dem Aufzug und nehme eine einladende Haltung an. Touristen ist es ausdrücklich gestattet, den Monet zu benutzen. Es sind drei junge asiatische Paare. Sie recken ihre Köpfe hektisch in alle Richtungen, damit ihnen bloß kein Detail entgeht. Eine Frau – sie erinnert mich an die stille Beobachterin am Meer auf dem Gemälde in Aufzug fünf – richtet eine Kamera auf mich. Eigentlich wäre es meine Pflicht, sie darauf hinzuweisen, dass ein solches Gerät erst in den dafür zugelassenen Räumlichkeiten benutzt werden darf. Aber ich beeile mich lediglich, die Frau in den Aufzug zu schaffen. Jetzt haben sie alle eine Kamera in der Hand und filmen unter ehrfurchtsvollem Gewisper das kostbare Gemälde. Für die Touristen lasse ich den Aufzug wesentlich langsamer nach oben fahren. Sie lieben es.
Im 44. Stockwerk werden sie bereits von einer Hostess erwartet. Ich verbeuge mich höflich vor den Gästen und verweile noch ein wenig in der geöffneten Lifttür. Jede Ablenkung ist mir heute willkommen.
Wenige Meter von mir entfernt steht eine Harley-Davidson der Porterville Police aus dem Jahre 1936. Unter dem
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