Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
flucht Tannen, sieht mich dann und torkelt in meine Richtung.
»Hasse das mit der Flasche gesehen?«, lallt er. »Beschissene Schwerkraft!«
Die Blonde und der fette Glatzkopf folgen ihm. Tannen steht jetzt direkt vor mir, hält sich an meiner Jacke fest und bläst mir seine Whisky-Fahne ins Gesicht.
»Der Lift heißt Monet«, erklärt er seinem kahlköpfigen Begleiter. »Wegen dem Bild mit der Lady da.«
Im warmen Licht der Fahrstuhlbeleuchtung bemerke ich, dass die Frau heute viel stärker geschminkt ist als gestern. Es gelingt ihr damit aber nicht, die Schwellung auf ihrer rechten Wange zu verbergen.
Tannen fasst ihr um die Hüfte und will ihr einen Kuss auf den Mund drücken. Als sie sich ziert, greift Tannen grob nach ihrem Nacken und zwingt sie. Dann versetzt er der Frau einen so heftigen Stoß, dass sie mit dem Rücken gegen die Wand prallt. Sie vermeidet es aufzusehen. Kahlschädel kichert und sagt etwas in einer fremden Sprache, die nur aus Zischlauten zu bestehen scheint. Jetzt kichert auch Tannen und hebt den Arm, um die Frau zu schlagen.
»Nicht!«, entfährt es mir. Ohne mir dessen bewusst zu sein, lege ich meine Hand auf Tannens Schulter.
Er hält inne und funkelt mich an. Ich weiche einen Schritt zurück.
›Jetzt schlägt er mich! Was ist nur in mich gefahren?‹
Doch Tannen bleckt nur seine makellosen Zähne. »Bring uns einfach nach oben, Kip.«
Hinter ihm presst sich das Mädchen gegen die Wand. Sie starrt mich an, nichts als Augen.
Ich mache meine Arbeit. Der Monet schießt den Hudson Tower hinauf. Oben warten bereits die obligatorischen Muskelmänner von der Sicherheit.
Heute ist es ungewöhnlich still in der Kanzlei. Kein Song der Rolling Stones dröhnt durch die Flure, kein trunkenes Gebrüll ... nur aus den Tiefen der Etage dringt wie schon am gestrigen Abend das Schluchzen einer Frau.
Tannen nimmt seine Begleiterin an die Hand, und wenn ich es nicht besser wüsste, würden sie in diesem Moment wie ein Liebespaar aussehen. Der Kahlköpfige folgt ihnen. Er transpiriert jetzt sehr stark und glänzt im künstlichen Licht wie eine enorme Speckschwarte.
Im Verlauf der nächsten Stunde beginne ich, mit der Frau auf dem Gemälde zu reden. Das habe ich schon öfters getan. Ich erzähle ihr, wie sehr ich mich auf die Rückkehr in meine Heimat freue. Auf ein Wiedersehen mit der Familie ... den Urenkeln. Natürlich antwortet die Schöne mit dem Sonnenschirm nicht, aber ich bilde mir ein, dass sie überaus interessiert lauscht. Ihr Blick ruht jetzt sehr verständnisvoll auf mir.
Neben dem Etagenknopf der Kanzlei ›Macintosh & Partner‹ blinkt ein grünes Licht. Sie fordern mich an. Eigentlich ist es noch viel zu früh. Normalerweise enden die Gelage erst weit nach Mitternacht. Manchmal graut auch schon der Morgen.
Ich fahre nach oben. Der Sicherheitsmann macht einen genervten Eindruck. Keine Ahnung, wo sein Kollege steckt.
»Fassen Sie mit an!«, fordert er mich auf.
›Nein!‹, schreit es in meinem Innern. ›Nicht schon wieder!‹
Etwas von dem Entsetzten, dass die Tabletten bisher erfolgreich hinweg gespült hatten, muss sich in meinem Gesicht spiegeln, denn der Mann zuckt mit den Schultern und brummt: »Was will man machen?«
Ich weiß, dass er erst ein paar Wochen hier arbeitet. Zehn Meter links von mir liegt ein schwarzer Kunststoffsack vor einer halb geöffneten Bürotür.
Ein Paket!
Ich glaube zu schweben, als ich langsam über den weichen Teppich schreite.
»Nehmen Sie das Fußende«, sagt der Sicherheitsmann.
Ich bücke mich, fühle den kühlen Kunststoff und darunter ...
›Nicht daran denken! Es ist nur noch ein Paket, das es zu entsorgen gilt.‹
Angewidert wende ich den Kopf zur Seite und blicke in das Büro. Der Glatzkopf ... er tanzt. Es erinnert mich an die stark ritualisierten Bewegungsabläufe thailändischer Tempeltänzerinnen. Aber der fette Mann verleiht ihnen etwas extrem Aggressives und ... Animalisches. Er ist jetzt völlig nackt und sichtbar erregt. Ein paar Anwälte hocken auf dem Boden und sehen ihm feixend zu. Tannen ist nicht dabei.
Wir tragen das Paket in den Aufzug, und ich wähle den Knopf für die unterste Kelleretage. Der Wachmann bleibt zurück.
Hier unten ist es ganz still. Nur wenn man sich konzentriert, ist ein leichtes Vibrieren spürbar, dass sich von den Fußsohlen bis unter die Schädeldecke schleicht und so vom ganzen Körper Besitz ergreift.
Energie.
Es sind nur wenige Meter bis zu der Schleuse. Ich brauche keine Hilfe. Die
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