Darkyn: Dunkle Erinnerung (German Edition)
von Untermietern nicht nachprüfte. »Du bist Keris Untermieterin.«
»Chris.« Sie rieb sich über den Kopf und enthüllte ein kleines Ohr, das von oben bis unten mit noch mehr Ringen und Steckern gepierct war. »Und Sie sind die frigide Schlampe von Polizistin, die auf der anderen Seite des Flurs wohnt?«
Sam hustete, um das Lachen zu verbergen, das aus ihr herausbrach. »Hat Keri mich so genannt?«
»Lady, das war das Netteste , was sie über Sie gesagt hat.« Chris setzte sich auf ihren Sitzsack und schlang die Arme um ihre Knie. »Ich mag es hier oben. Wenn Einbrecher kommen, dann nehmen sie sich den ersten oder zweiten Stock vor, stimmt’s? Auf gar keinen Fall steigen die drei Treppen rauf.«
Die Kleine dachte wie ein Cop. Oder ein Dieb.
»Warte, bis du den Müll runtertragen oder Möbel rauftragen musst«, warnte Sam sie. »Dann wirst du dir wünschen, du wärst näher am Boden.« Vielleicht würde sie die Kleine überprüfen, mal sehen, was für eine Geschichte sie hatte.
»Keri lässt ihre Möbel da, bis sie von ihrer Reise zurück ist«, meinte Chris. »Sieht da drin aus wie in einem Diner, was? Man bräuchte nur noch einen Kuchen hinter Glas und eine fette Kellnerin, die mit einer Kanne Kaffee herumläuft.« Sie sog die Luft ein. »Rieche ich da Kaffee? Vielleicht ist noch was übrig, das eine besonders nette Nachbarin mit mir teilen würde?«
Mit einem Seufzen reichte Sam ihr den Styroporbecher, den sie in der Hand hielt. »Hier. Aber ich würde es mir in Keris Sachen nicht allzu gemütlich machen. Die sind teuer; und sie kommt wieder, um sie sich zu holen.«
»Ich habe auch ein paar Sachen.« Chris legte die Hände um den Becher und änderte ihre Haltung, sodass der Sitzsack unter ihrem Gewicht knirschte. »Viele Leute in dieser Gegend werfen nämlich Sachen weg, die noch völlig in Ordnung sind. Ich habe mir schon eine ganze Tasche voller Klamotten und Schuhe von der Müllhalde geholt.« Sie trank von dem Kaffee und verzog das Gesicht. »Zucker, uh. Ich trinke ihn schwarz. Ich weiß – in der Not frisst der Teufel Fliegen. Jedenfalls sind das alles Männerklamotten, aber die meisten sind bügelfrei, und ich kann sie auf meine Größe kürzen.«
»Wasch sie besser, bevor du sie anziehst.«
Chris sah zu ihr auf. »Ich bin eine arme Bettlerin, Officer, aber nicht dumm.«
»Ich heiße Sam«, korrigierte sie. »Wie alt bist du überhaupt?«
»Warum?« Chris erhob sich und hob ihren Sitzsack auf. »Muss man volljährig sein, um Kaffee zu trinken?«
»Nein.«
»Dann bin ich einundzwanzig, Officer.« Der Ring in ihrer Unterlippe glitzerte. Ihr Lächeln war wie ein Blitz, in einem Moment da, im nächsten wieder weg. »Wir sehen uns.«
Siebenundachtzig Männer und elf Frauen arbeiteten bei der Criminal Investigation Division von Fort Lauderdale, aber nur sechs im Morddezernat, wobei Sam die einzige Frau in der Abteilung war. Sie und Harry hatten sich freiwillig für die Friedhofsschicht gemeldet, weil die anderen Mitglieder des Morddezernats – die alle Frau und Kinder hatten – dann morgens und abends arbeiten konnten.
Da die Hälfte der Morde in der Stadt nachts begangen wurde, blieben die meisten Fälle des Morddezernats an Sam und Harry hängen.
Das Morddezernat war eine von sieben Abteilungen der CID, und nur sechs Detectives untersuchten die durchschnittlich zwanzig Morde, die es pro Jahr gab, und halfen außerdem der Abteilung für Gewaltverbrechen, weil die Kollegen dort zehnmal so viele Fälle hatten. Als Folge davon war ihr Büro eines der kleinsten im ganzen Gebäude. Die Detectives nutzten ihre Zeit am Schreibtisch normalerweise dazu, den Papierkram zu erledigen oder Zeugen zu befragen oder am Telefon zu recherchieren. Ab und zu kam mal ein Detective von der Jugendkriminalität oder von den Autodiebstählen vorbei, um sich etwas von dem dunklen Gebräu aus dem Zehn-Liter-Kaffeeautomaten zu holen, der immer lief, aber die Atmosphäre im Morddezernat konnte man dennoch kaum besonders gesellig nennen.
Einige schoben es auf die Morde, andere machten den unterkühlten Führungsstil ihres Vorgesetzten, Captain Ernesto Garcia, dafür verantwortlich.
Sam betrachtete die Arbeit im Büro als notwendiges Übel. Sie mochte den Raum mit den dicht gedrängt stehenden Schreibtischen nicht, der für nur halb so viele Mitarbeiter entworfen worden war, genauso wenig wie die Tatsache, dass Garcia den einzigen Verhörraum des Morddezernats zu seinem persönlichen Büro umfunktioniert hatte. Dennoch
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