Darkyn: Dunkle Erinnerung (German Edition)
der Rache, Tag der Sünden, wird das Weltall sich entzünden, wie Sibyll und David künden.
Quantus tremor est futurus,
Quando iudex est venturus,
Cuncta stricte discussurus!
Welch ein Graus wird sein und Zagen,
wenn der Richter kommt,
mit Fragen streng zu prüfen alle Klagen!
Tuba mirum spargens sonum
Per sepulcra regionum,
Coget omnes ante thronum.
Laut wird die Posaune klingen,
durch der Erde Gräber dringen,
alle hin zum Throne zwingen.
Mors stupebit et natura,
Cum resurget creatura
Ludicanti responsura.
Schaudernd sehen Tod und Leben
sich die Kreatur erheben,
Rechenschaft dem Herrn zu geben.
Es war ein extrem merkwürdiges Lied für eine Morgenandacht. Das »Dies Irae« war eine Meditation über die Offenbarung, die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts komponiert worden war, als die Katholiken erwarteten, dass Christus am Jüngsten Tag in der Welt der Menschen wiedergeboren werden würde. John hatte es bisher nur bei Beerdigungen oder einem Seelenamt für die Toten gesungen.
Vielleicht feiern sie den Tod meiner Berufung . Angewidert von seinem endlosen Selbstmitleid blickte John zum Altar hinauf. Wenn Du da bist, Gott, dann tu etwas. Schick einen Blitz, der mich trifft. Lass mein Herz aufhören zu schlagen. Lass meinen Kopf explodieren. Gib mir einen Grund zu glauben, dass das alles nicht sinnlos war .
Wie immer tat Gott nichts.
Mercer, der die gleiche schlichte Robe wie seine Mönche trug, kniete vor dem Altar, während die Männer sangen, und neigte den Kopf. Es war offensichtlich, dass er betete, aber Psalmen und Bibelstellen wurden nach dem Singen des Liedes vorgelesen, nicht währenddessen.
Vielleicht ist hier wirklich kürzlich jemand gestorben , dachte John und merkte erschrocken, dass er die letzte Strophe des Liedes mitgesungen hatte. Dankbar verstummte er zusammen mit den anderen.
Mercer betete für mehrere Minuten weiter, dann bekreuzigte er sich und stand auf, wandte sich zu John und den Mönchen um. »›Gnade sei mit euch und Friede, von Gott, unserem Vater, und von unserem Herrn Jesus Christus.‹«
Die Brüder antworteten mit »Herr, erbarme dich.«
»›Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus‹«, sagte Mercer und breitete die Arme aus, »›denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten.‹«
»Herr, erbarme dich«, erwiderten die Brüder.
John hörte zu, wie der Abt noch weiter den Anfang des Epheserbriefes vorlas, aber er stimmte nicht in den Refrain ein, und er ließ die Worte ziehen, anstatt sie festzuhalten und nach neuer Bedeutung in ihnen zu suchen. Für ihn war die Heilige Schrift so etwas geworden wie eine Pusteblume im Wind, die ihren Samen in alle Richtungen verteilte, nur nicht auf dem unfruchtbaren Boden in ihm.
Wenn Gott wirklich wollte, dass John seinen Glauben wiederfand und in die Kirche zurückkehrte, dann musste er sich etwas Besseres einfallen lassen, als ihm die freudlosen, frauenfeindlichen Ermahnungen des Paulus um die Ohren zu hauen.
Die Morgenandacht endete mit einem Psalm und noch mehr althergebrachten Gebeten, und die Brüder verließen die Kapelle in Zweierreihen. John blieb an seinem Platz stehen, sodass alle an ihm vorbeimussten. Nicht einer der Brüder sah ihm ins Gesicht. Viele blickten betont in eine andere Richtung.
»Nimm es nicht persönlich«, meinte Mercer, der die Stufen vom Altarraum herunterstieg und auf ihn zukam. Er sah müde aus, so als habe er nicht viel geschlafen. »Sie sind Besucher nicht gewohnt, deshalb sind sie ein bisschen schüchtern.«
»Ich erinnere mich noch daran, wie es ist, das neue Mitglied des Klosters zu sein«, erwiderte John. Er konnte Zahnpasta im Atem seines alten Freundes riechen, aber keinen Alkohol – und dann schämte er sich dafür, es überhaupt überprüft zu haben. »Mach dir keine Sorgen deswegen.«
»Ich weiß, was du denkst«, meinte sein Freund, während sie die Kapelle verließen und über den kurzen gepflasterten Weg zum Refektorium gingen. »Wer ist gestorben, dass wir dieses Lied singen?«
John blickte hinauf in den weiten Himmel über dem Kloster. Er schien doppelt so groß wie in Chicago, aber es gab auch weit weniger hohe Gebäude in diesem Teil des Landes und sehr viel weniger Luftverschmutzung. Nur wenige Wolken, die wie zerrissenes weißes Papier aussahen, reflektierten das intensive Gold und Pink der aufgehenden Sonne. Florida war
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