Darkyn: Im Bann der Träume (German Edition)
natürlich, auch für Menschen, aufzusehen, wenn einem jemand nahe kam. Jema war Shaws Tochter; ihr gehörte dieses Gebäude, und sie bezahlte all diese Menschen. Wo blieb deren Achtung?
Er konnte das Museum nicht betreten und mit ihr sprechen; laut Faltblatt war es zwanzig Minuten vor seiner Ankunft geschlossen worden. Es waren Telefonnummern für die Pforte und die Verwaltung des Museums angegeben, und obwohl Jemas Name nicht auftauchte, beschloss er, die der Verwaltung zu wählen. Durch das Telefon konnte er Kontakt mit ihr aufnehmen, ohne sie erneut l’attrait auszusetzen.
Als er sah, wie groß und prächtig das Shaw-Museum war, verstand Thierry auch die Bemerkung in der Akte ein bisschen besser. Jema Shaw war eine sehr wohlhabende, einflussreiche Frau. Die Kyn gaben sich stets Mühe, solchen Leuten aus dem Weg zu gehen. Ruhm und Geld zogen viel Aufmerksamkeit auf jene, die sie besaßen, und auch auf alle in ihrer Nähe.
Die Darkyn konnten es sich nicht leisten, im Scheinwerferlicht zu stehen.
In Amerika gab es an fast jeder Ecke eine Telefonzelle, und Thierry fand eine im Schatten gelegene gegenüber dem Museum. Er kannte sich mit amerikanischen Münzen nicht aus, deshalb warf er eine Handvoll in den Münzschlitz, bevor er die Hauptnummer der Verwaltung wählte. Es klingelte viermal, dann meldete sich eine männliche Stimme. »Shaw-Museum, Sicherheitsdienst.«
»Ich möchte mit Jema Shaw sprechen«, sagte Thierry schnell. »Hier spricht Henri Dubeck aus Frankreich.« Die Dubecks hatten den Durands gedient; Henri war ein Cousin des Tresora der Durand-Familie gewesen. Er hatte Thierry zum ersten Mal den Louvre gezeigt, wo er als stellvertretender Direktor arbeitete.
Das war vor vierhundert Jahren gewesen, deshalb erschien es Thierry sicher, Henris Namen zu benutzen.
»Es tut mir leid, Mr Dubeck, aber Miss Shaw ist gerade gegangen«, sagte der Mann zu ihm in genau dem Moment, in dem Thierry Jema das Gebäude durch einen Seiteneingang verlassen sah. »Kann ich ihr etwas ausrichten?«
Er musste mit ihr sprechen.
» Non, merci .« Thierry legte auf und lief den Block hinunter hinter Jema Shaw her. Er hätte sie einholen können, aber eine komische Ahnung verlangsamte seine Schritte. Sie von hinten zu sehen, löste das merkwürdige, unangenehme Gefühl in ihm aus, dass er ihr in der Vergangenheit schon einmal gefolgt war.
Das war nicht möglich. Er wusste, dass er sie vor der letzten Nacht noch niemals gesehen hatte.
Der eingezäunte Parkplatz hinter dem Museum hatte eine beschrankte Ein- und Ausfahrt mit einem NUR FÜR ANGESTELLTE-Schild. Jema ging auf den Parkplatz und stieg in einen der drei Wagen, die noch darauf standen, in das schon vertraute Mercedes-Cabrio. Seine letzten Zweifel schwanden, als sie auf die Ausfahrt zufuhr und er das Wunschnummernschild an ihrer vorderen Stoßstange sah.
JEMAS BENZ.
Thierry lief um die Ecke, um das gestohlene Auto zu holen, und verfolgte damit den Mercedes, der auf den großen See im Osten der Stadt zuhielt. Natürlich würde Jema dort wohnen; wo es Wasser gab, fand man auch die Reichen mit ihren riesigen Privathäusern und gesicherten Anwesen. Ihr Vater war tot, aber über ihre Mutter hatte da nichts gestanden. Vielleicht lebte Jema mit ihr zusammen. Seine kleine Katze hatte vielleicht sogar einen Mann.
Einen Mann, den man auspeitschen sollte, weil er sie nachts allein durch die Stadt laufen ließ. Vielleicht würde sich Thierry ihren Mann zur Brust nehmen, bevor er mit Jema sprach.
Thierry war nicht überrascht, als der Mercedes zu einem der größten und besonders stattlich aussehenden Anwesen fuhr; auch nicht darüber, dass hohe Mauern und Elektrozäune ihn daran hinderten, ihr auf das Grundstück zu folgen. Er fuhr vorbei und sah sich in Jema Shaws Nachbarschaft um. Fast alle Häuser schienen bewohnt, außer dem, das an der nördlichen Seite an das Grundstück der Shaws grenzte. Bei diesem Haus, einem kleineren, aber opulent gebauten zeitgenössischen Herrenhaus, waren alle Jalousien heruntergelassen. Die Reichen besaßen oft mehr als ein Haus; schon zu seinen Lebzeiten als Mensch hatten Thierrys Eltern selten mehr als ein paar Monate im Château Durand verbracht, bevor sie sich in ihr Anwesen nach Marseille zurückzogen oder in ihr großes Haus in Paris. Die Chancen standen sehr gut, dass in diesem Haus derzeit niemand wohnte und dass das auch noch eine Zeit lang so bleiben würde.
Herrenhäuser hatten viele Zimmer und Einrichtungsgegenstände; eintausend
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