Darling
Mitternacht fahren? Ich hab zu wenig Fahrer.“ Sissis Stimme duldete keinen Widerspruch.
Adrian schluckte. Er dachte an seine Verabredung mit Clara.
„Ich habe heute schon mal ausgeholfen“, monierte er. „Ich mach um halb zehn, zehn Schluss. Ich muss mal wieder einen gemütlichen Abend mit meiner Freundin auf der Couch verbringen“, log er ins Funkgerät.
Sissi lachte.
„Kann ich verstehen. Taxifahrer wär’ net mein Ding für ’ne feste Beziehung.“
In breitem Hessisch gab sie immer wieder gerne ihre Lebensweisheiten preis. Dann hörte Adrian über Funk, wie sie weiter Aufträge vergab.
Er schaute auf die Uhr über dem Eingang zum Frankfurter Hauptbahnhof. Noch vier Stunden, bis er die Frau mit den tiefgründigsten Augen der Welt wiedersehen würde. Es erschien ihm wie eine Ewigkeit.
30
Edith schaute auf Stefan Weber, der Jacke und Dienstpistole lässig über seinen Stuhl gehängt hatte. Es war kurz vor sieben. Die Pressekonferenz hatte, wenn sie ehrlich war, im Fiasko geendet. Irgendein Mitarbeiter aus der Rechtsmedizin hatte den Journalisten gesteckt, dass das Mädchen nicht ertrunken, sondern durch einen Stromschlag ins Jenseits befördert worden war. Sofort kursierte der Begriff „elektrischer Stuhl“. Das verhieß definitiv Auflage und Quote, und eben auch mehr Geld.
Edith hatte eigentlich keine Informationen preisgeben wollen, um den oder die Täter so lange wie möglich in Sicherheit zu wiegen. Das war nun vorbei. Frage über Frage war auf die Kommissarin eingeprasselt, und sie hatte ihre liebe Not gehabt, ihrer Informationspflicht nachzukommen, ohne allzu viele Details zu verraten.
Solche Indiskretionen machten Edith Tannhäuser fuchsteufelswild. Als sie die Schreibtischlampe anknipste, sah sie, wie der Regen unablässig über die Fensterscheiben ihres Büros perlte.
„Was macht eigentlich unsere Operation Street & Shoes?“ Interessiert schaute sie zu Stefan Weber auf.
„Oh, sorry Edith. Das habe ich völlig vergessen dir zu sagen. Gleich der erste Laden auf der Zeil war ein Volltreffer. Eine Verkäuferin konnte sich sehr gut an die junge Frau erinnern. Die war übrigens nicht allein gewesen, sondern in Begleitung eines älteren, sehr gepflegt wirkenden Mannes. Der hat die Schuhe ihrer Erinnerung nach auch bezahlt.“
Edith schaute überrascht auf.
„Und wieso sagst du das erst jetzt?“, fragte sie erstaunt.
Stefan Weber reagierte leicht pikiert auf Ediths vorwurfsvollen Ton.
„Wann hätte ich es dir denn erzählen sollen, Frau Kommissarin? Du warst ja den ganzen Nachmittag mächtig beschäftigt.“ Dann kramte er in seiner Umhängetasche. „Die Filialleiterin hat mir die Videobänder ausgehändigt. Da können wir uns kilometerweise Schuhkäufe ansehen.“
Edith nickte anerkennend.
„Gib die Bänder morgen früh Silke. Dann tut sie zumindest was Vernünftiges, anstatt den ganzen Tag quer durch alle Abteilungen zu tratschen.“
Stefan grinste.
„Wieso lässt du dir das eigentlich so seelenruhig gefallen? Ich hätte mit Silke schon längst Tacheles geredet.“
Edith zögerte.
„Ich hab’ Silke damals bei meiner Beförderung quasi von meinem Vorgänger geerbt und ihm versprochen, dass sie, so lange sie möchte, hier als Sekretärin bleiben kann.“
Stefan lachte kurz auf.
„Du wirkst ja richtig verantwortungsvoll, wenn du dich so altmodisch verteidigst“, frotzelte er.
Edith wollte protestieren, doch in dem Moment klingelte das Telefon.
„Dr. Ullrich! Was verschafft mir heute zum zweiten Mal die Ehre?“
Stefan schaute verblüfft hoch, als Edith den Lautsprecher am Telefon anschaltete.
„Machen wir es kurz, Edith. Es gibt da ein Problem mit der Leiche des Taxifahrers, den ich vorhin noch als Routinefall eingeschätzt hatte.“ Der Rechtsmediziner räusperte sich. „Der Mann ist nicht an Herzinfarkt gestorben. Er wurde im Bett erstickt. Offensichtlich hatte er keine Chance, da er von einem schweren Magen-Darm-Infekt geschwächt war. Wir haben unter seinem linken Zeigefingernagel DNA-Material gefunden, da läuft jetzt die Analyse auf Hochtouren. Tut mir leid, Edith, wenn ich Ihnen jetzt den Feierabend zerschossen habe. Aber ich melde mich, wenn alle Ergebnisse der Autopsie vorliegen.“
Edith schwieg.
„Der Mann heißt Karl Blum, ist 55 Jahre alt und von Beruf Taxifahrer. Er wohnt in der Friedrich-Naumann-Straße 22 in der Kuhwaldsiedlung hinter der Messe.“
Stefan Weber notierte die Daten.
„Danke Ihnen, Felix.“
Edith legte auf und erhob sich
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