Das 1. Buch Des Blutes - 1
Männer.
DerGrund für die Streiterei blieb absolut unklar. Sie schlugen sich nur herum wie Mädchen (der Anblick brachte Steve zum Lachen), kreischten und zerrten sich gegenseitig an den Haaren. Das Blut auf ihren Gesichtern und Händen war schwarz im Mondlicht. Einer von ihnen, der ältere, wurde der Länge nach auf sein Bett zurückgestoßen und schrie dabei: »Ich geh’ dir nicht in die Finchley Road! Du kriegst mich nicht rum. Schlag mich nicht! Ich bin nicht dein Mann! Ich nicht!«
Der andere konnte und wollte nichts hören. Er war zu dumm oder zu verrückt, um zu begreifen, daß der alte Mann darum bat, in Ruhe gelassen zu werden. Ringsum von Zuschauern angefeuert, hatte der Gegner des Alten den Schuh ausgezogen und bearbeitete sein Opfer damit. Steve konnte das Knacks, Knacks seiner Schläge hören: Absatz gegen Kopf. Beifallrufe begleiteten jeden Schlag und schwächer werdende Schreie vom Alten.
Plötzlich stockteder Applaus, weiljemandin den Schlafsaal hereinkam.
Steve konnte nicht sehen, wer es war; die um die Kämpfenden gedrängten Männer waren zwischen ihm und der Tür. Hingegen sah er durchaus, wie der Sieger seinen Schuh mit einem abschließenden »Kacker!« in die Luft schleuderte.
Den Schuh.
Steve konnte die Augen nicht von dem Schuh abwenden, der in die Luft stieg, sich beim Steigen drehte und dann wie ein abgeschossener Vogel auf die nackten Bretter stürzte. Steve sah ihn deutlich, deutlicher, als er binnen vieler Tage irgend etwas anderes gesehen hatte.
Er landete nicht weit von ihm. Er landete mit einem lauten Plumpser.
Er landete auf der Seite. Wie sein Schuh gelandet war. Sein Schuh.
Den, den er weggestoßen hatte. Auf dem Gitter. In dem Raum. In dem Haus. In der Pilgrim Street.
Quaid erwachte von demselben Traum. Immer das Treppenhaus.
Immer er, wie er die enge Treppenflucht hinunterschaut, während diese lächerliche Erscheinung, halb Jux, halb Horror, auf Zehenspitzen herauftänzelt, hin zu ihm, mit einem Lachen nach jeder Stufe.
Nie zuvor hatte er innerhalb einer Nacht zweimal geträumt. Er schwenkte die Hand über die Bettkante und fummelte nach der Flasche, die er dort bereitstehen hatte. Im Dunkel nahm er einen Schluck, einen großen.
Steve ging an der Traube aufgebrachter Männer vorbei, kümmerte sich nicht um ihre Rufe oder das Gestöhn und die Verwünschungen des Alten. Die Wärter hatten alle Hände voll zu tun, um mit der Störung zurechtzukommen. Das war bestimmt das letzte Mal, daß man den alten Crowley reingelassen hatte: Er forderte immer zur Gewalt heraus. Diesmal fehlte wirklich nicht viel zu einem regelrech-ten Krawall; es würde Stunden dauern, bis wieder Ruhe einkehrte.
Niemand stellte Steve eine Frage, als er den Flur hinunter schlenderte, zum Schlafsaal hinaus, in die Vorhalle des Asyls. Die Schwingtüren waren geschlossen, aber die rauhe Nachtluft, die hereindrang, roch erfrischend.
Das enge Aufnahmebüro war leer, und durch die Tür konnte Steve den Feuerlöscher an der Wand hängen sehen. Er war rot und grell.
Daneben war ein langer schwarzer Schlauch, aufgerollt auf einer roten Trommel wie eine schlafende Schlange. Daneben, in zwei Halterungen an der Wand befestigt, eine Axt.
Eine sehr, sehr hübsche Axt.
Stephen ging in das Büro. In geringer Entfernung hörte er laufende Füße, Rufe, eine Pfeife. Aber niemand kam, um Steve zu stören, während er sich mit der Axt anfreundete.
Erst lächelte er sie an.
Die Krümmung der Axtschneide erwiderte das Lächeln.
Dann berührte er sie.
Die Axt schien’s zu mögen, wenn man sie berührte. Sie war staubig und war lange Zeit nicht benutzt worden. Zu lange nicht. Sie wollte in die Hand genommen, gestreichelt und angelächelt werden. Steve nahm sie ganz behutsam aus ihren Halterungen heraus und schob sie unter seine Jacke, zum Warmhalten. Dann ging er wieder aus dem Aufnahmebüro heraus, durch die Schwingtüren und hinaus ins Freie, um seinen zweiten Schuh aufzutreiben.
Quaid erwachte abermals.
Steve brauchte nur sehr kurze Zeit, um sich zurechtzufinden. Sein Schritt bekam etwas Sprunghaft-Beschwingtes, als er anfing, Richtung Pilgrim Street vorzurücken. Er fühlte sich wie ein Clown, ausstaffiert mit so vielen grellen Farben, solch schlottriger Hose, solch blödsinnigen Stiefeln. Er war schon ein urkomischer Kerl, nicht? Er brachte sich selber zum Lachen, so komisch war er.
Der Wind fing an, in ihn hineinzufahren, peitschte ihn hoch in irrwitzige Erregung, flitzte ihm dabei durch die Haare und
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