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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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den Rand des Loches. Jetzt spielte es keine Rolle mehr, wie weit er seiner Neugier nachgab. Sie hatten ihn in ihrer Gewalt; da konnte er genausogut alles sehen, was es zu sehen gab.
    Ein Schwall eisiger Luft blies aus dem sonnenlosen Höllenkreis herauf, und in der Finsternis des Schachts sah er deutlich eine sich nähernde Gestalt. Sie bewegte sich gleichmäßig, und ihr Gesicht war nach oben gekehrt, um den Blick auf die Welt zu richten.
    Cameron konnte ihr Atmen hören, die Wunde ihrer Gesichtszüge in der Düsternis sich öffnen und schließen sehen: ölige Knochenpartien, ineinandergreifend, sich voneinander lösend wie die Freßfront eines Taschenkrebses.
    Burgess lag auf den Knien, die beiden Dienstgeister links und rechts von ihm flach ausgestreckt auf dem Boden, das Gesicht zur Erde.
    Cameron wußte, dies war seine letzte Chance. Er stand auf, die Glieder kaum unter Kontrolle, und tappte blindlings los Richtung Burgess, der die Augen in ehrfurchtsvollem Gebet geschlossen hielt Mehr zufällig als absichtlich erwischte er ihn im Vorbeigehen mit dem Knie unterm Kiefer, und der Mann wurde flachgelegt. Camerons Sohlen glitten über den Boden, zur Eishöhle hinaus, in die angrenzende kerzenbeleuchtete Kammer hinein.
    Hinter ihm füllte sich der Raum mit Rauch und Seufzern, und Cameron schaute - wie Lots Weib auf seiner Flucht vor Sodoms Zerstörung -, ein Mal bloß, flüchtig zurück, um den verbotenen Anblick hinter sich zu sehen.
    Es drängte hervor aus dem Schacht, seine graue Masse füllte das Loch aus, von unten her durch irgendeine Lichtquelle angestrahlt. Seine Augen, tief im nackten Knochen seines elefantenhaften Kopfes, begegneten denen Camerons durch die offene Tür hindurch. Wie ein Kuß schienen sie ihn zu berühren, drangen in sein Denken durch die Augen ein.
    Er wurde nicht zu Salz verwandelt. Er riß seinen neugierigen Blick von dem Gesicht los, durchquerte schlitternd die Vorkammer und begann, die Treppe hinaufzusteigen, nahm zwei, drei Stufen auf einmal, fiel hin dabei und stieg weiter, fiel hin und stieg weiter. Die Tür war noch immer angelehnt. Auf der anderen Seite Tageslicht und die Welt.
    Er warf die Tür au! und taumelte, nahe am Zusammenbruch, in die Eingangshalle; schon spürte er, wie die Wärme seine frosterstamen Nerven wieder zu beleben anfing. Kein Geräusch auf der Treppe hinter ihm: Sicherlich hatten sie vor ihrem fleischlosen Besucher einen zu gewaltigen Respekt, um ihm zu folgen. Er schleppte sich die Wand der Eingangshalle entlang, sein Körper zerrüttet von fiebrigen Schauern und Zähneklappern.
    Sie folgten ihm noch immer nicht.
    Draußen war der Tag blendend hell, und er empfand allmählich die Heiterkeit der geglückten Flucht. Etwas Vergleichbares hatte er noch nie verspürt. So nahe daran, und trotzdem überlebt. Gott war also doch mit ihm gewesen.
    Er wankte die Straße entlang, zurück zu seinem Fahrrad, entschlossen, das Rennen anzuhalten, der Welt zu sagen…
    Sein Rad war unberührt, der Lenker so warm wie die Arme seiner Frau.
    Als er sein Bein über die Stange schwang, fing der Blick, den er mit der Hölle getauscht hatte, Feuer. Sein Körper, der keine Ahnung hatte von der Hitze im Gehirn, verblieb noch einen Augenblick lang bei leiner Beschäftigung, setzte die Füße auf die Pedale und begann davonzuradeln.
    Cameron spürte, wie der Feuerschlag in seinem Kopf zündete, und wußte, daß er tot war.
    Der Blick, der flüchtige Blick hinter sich.
    Lots Weib. Wie Lots stupides Weib…
    Der Blitz sprang hoch zwischen seinen Ohren, schneller als ein Gedanke. Seine Schädeldecke platzte, und der Blitz, weißglühend, ichoß heraus aus dem Schmelzofen seines Hirns. Seine Augen verdorrten in ihren Höhlen zu schwarzen Nüssen, er spie Licht aus Mund und Nasenlöchern. Die Verbrennung verwandelte ihn innerhalb weniger Sekunden in eine Säule aus schwarzem Fleisch, ohne jegliche Flamme oder Andeutung von Rauch.
    Bis das Fahrrad schließlich von der Straße herunterraste und durchs Schaufenster des Schneiders krachte, war Camerons Körper vollständig eingeäschert; wie eine Schaufensterpuppe lag er, mit dem Gesicht nach unten, zwischen den aschfarbenen Anzügen. Auch er hatte zurückgeschaut.
    Die Zuschauertrauben am Trafalgar Square bildeten eine brodelnde Masse der Begeisterung. Jubelrufe, Tränen, Fähnchen. Es hatte den Anschein, als wäre dieses kleine Rennen für diese Menschen etwas ganz Besonderes geworden: ein Ritual, dessen wahre Bedeutung sie nicht kennen

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