Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
hätte.
    Zwei Türen führten von der Kammer weg, und hinter der einen hörte Cameron die Unterhaltung sich fortsetzen. Mit ängstlicher Vorsicht überquerte er den schlüpfrigen Boden bis zur Tür und gab sich äußerste Mühe, den murmelnden Stimmen einen Sinn abzulauschen.
    Etwas Dringliches vibrierte in ihnen.
    »- beeilen -«
    »- die richtigen Fertigkeiten -«
    »-Kinder, Kinder-«
    Gelächter.
    »Ich bin sicher, wir - morgen - wir alle —«
    Erneutes Gelächter.
    Plötzlich schienen die Stimmen die Richtung zu ändern, als ob sich die Sprecher zur Tür zurückbewegten. Cameron machte drei Schritte rückwärts über den eisigen Boden und stieß dabei fast den Kandelaber um. Die Flammen sprühten und wisperten in der Kammer, als er daran vorbeiging.
    Er mußte sich entweder für die Treppe oder für die zweite Tür entscheiden. Die Treppe bedeutete den uneingeschränkten Rückzug.
    Wenn er sie hinaufstiege, wäre er in Sicherheit, aber er würde nie Bescheid wissen. Nie wissen, was es mit der Kälte, mit den blauen Flammen, mit dem Ziegengeruch auf sich hatte. Die Tür war eine Chance. Wieder dort, die Augen auf die gegenüberliegende Tür geheftet, kämpfte er mit dem beißend kalten Messingtürknauf. Der drehte sich, unter einigem Gerangel, und er tauchte weg, außer Sicht -
    «1s sich die gegenüberliegende Tür öffnete. Die beiden Bewegungen waren perfekt synkopiert: Gott war mit ihm.
    Sowie er die Tür schloß, wußte er, daß er einen Fehler gemacht hatte.
    Gott war keineswegs mit ihm.
    Kältenadeln durchdrangen seinen Kopf, seine Zähne, seine Augen,
    «eine Finger. Er fühlte sich, als hätte man ihn nackt ins Herz eines Eisbergs geworfen. Das Blut schien in seinen Adern stillzustehen, der Speichel auf seiner Zunge kristallisierte, stechend schmerzte der Schleim auf der Haut seiner Nasenhöhlen, als er zu Eis wurde. Die Kälte schien ihn erstarren zu lassen: Er konnte sich nicht einmal umdrehen.
    Kaum fähig, seine Gelenke zu rühren, fummelte er nach seinem Feuerzeug, mit so tauben, fühllosen Fingern — man hätte sie ihm abschneiden können, ohne daß er es gespürt hätte.
    Schon war das Feuerzeug mit seiner Hand verklebt, der Schweiß auf «einen Fingern war zu Frost geworden. Er versuchte, es zum Brennen zu bringen, gegen die Dunkelheit, gegen die Kälte. Widerstrebend sprühte es Funken, erwachte zu einem stotternden Halbleben.
    Der Raum war groß: eine Eishöhle. Ihre Wände, ihre überkruste«
    Decke funkelten und schimmerten. Eis-Stalaktiten, lanzenscharf, hingen über seinem Kopf. Der Boden, auf dem er in unsicherer Balance stand, fiel zur Raummitte hin ab. Dort klaffte ein Loch von eineinhalb oder zwei Metern Durchmesser; sein Rand und seine Wandung waren derart von Eis überzogen, überwuchert, daß man den Eindruck hatte, als wäre ein Fluß beim Hinabströmen in die Finsternis zum Stillstand gebracht worden.
    Er dachte an Xanadu, ein Gedicht, das er auswendig konnte. Visionen eines anderen Albion -
    »Wo Alph, der heil’ge Fluß verlief,
    Durch Höhlen, Menschenmaß zu tief,
    Hinab in sonnenlose See.«*
    Wenn da drunten tatsächlich eine See war, dann eine gefrorene. Der immerwährende Tod.
    Um so mehr mußte er sich krampfhaft aufrecht halten, verhindern, daß er die schiefe Ebene hinunterrutschte, aufs Unbekannte zu. Das Feuerzeug flackerte, ein eisiger Luftzug blies es aus.
    * Nach S. T. Coleridge, engl. Lyriker, 1772-1834 (Anm. d. Übers.)
    »Scheiße«, sagte Cameron, als er in der Finsternis versank.
    Ob nun das Wort das Trio draußen alarmierte, oder ob Gott ihn in diesem Augenblick zur Gänze verließ und sie freundlichst ersuchte, doch die Tür aufzumachen — er würde es nie erfahren. Aber als die Tür mit Schwung weit aufging, stieß sie Cameron die Beine unterm Leib weg. Zu fühllos-taub und zu durchgefroren, um seinen Fall zu verhindern, stürzte er, unter den Schwaden des in den Raum herein-wehenden Ziegengeruchs, auf den Eisboden nieder.
    Cameron drehte sich halb um. Voights Double war an der Tür, der Chauffeur gleichfalls sowie der dritte Mann aus dem Mercedes.
    Augenscheinlich trug er einen aus mehreren Ziegenhäuten geschneiderten Mantel. Die Hufe und Hörner hingen noch daran herunter.
    Das Blut auf seinem Fell war braun und klebrig.
    »Was treiben Sie hier, Mr. Cameron?« fragte der Ziegenbemantelte.
    Cameron konnte kaum sprechen. Das einzige, was er in seinem Kopf noch fühlte, war die Winzigkeit eines höllischen Schmerzes hinter der Stirnmitte.
    »Was-zur

Weitere Kostenlose Bücher