Das 1. Buch Des Blutes - 1
Hölle so nah zu sehen,
versuchte, die plötzliche Schwäche in den Knien nicht zu beachten.
Jetzt blickte auch Voight rasch hinter sich. Der Ausdruck in seinem Gesicht war düster und verkrampft. Und irgendwie wußte Joel, daß et zur Hölle gehörte, daß der Schatten hinter ihm Voights Herr und Meister war.
»Voight, Voight. Voight. Voight -« Joel stieß das Wort bei jedem Schritt heraus.
Voight hörte, wie man ihn beim Namen nannte. »Schwarzer Sauhund«, sagte er laut.
Joels Schrittlänge vergrößerte sich etwas. Er war allenfalls zwei Meter vom Höllen-Läufer entfernt.
»Schau… Hinter… Dich«, sagte Voight.
»Ichseh’s.«
»Es… kommt… dich… holen.«
Das war der reine Schwulst: Worthülsen. Er allein war schließlich Herr und Meister seines Körpers, oder? Und er hatte keine Angst vor der Finsternis, er selbst trug ihre Farbe. War das nicht genau das, was ihn im Vergleich zu so vielen weniger menschlich machte? Oder mehr, mehr als menschlich; blutiger, schweißiger, fleischiger. Mehr Arm, mehr Bein, mehr Kopf. Mehr Kraft, mehr Gier. Was konnte die Hölle schon tun? Ihn fressen? Er würde dem Gaumen faulig schmek-ken. Ihn zu Eis gefrieren? Er war zu heißblütig, zu schnell, zu lebendig. Nichts würde sich seiner bemächtigen, er war ein Barbar mit den Manieren eines Gentleman.
Nicht ganz Tag und nicht ganz Nacht.
Voight litt: sein Schmerz lag in seinem abgerissenen Atem, in den Stakigen Fetzen seines Schritts. Sie waren gerade noch fünfzig Meter von den Stufen und der Ziellinie entfernt, aber Voights Führung wurde zusehends aufgezehrt; jeder Schritt brachte die Läufer einander näher.
Dann begann das Feilschen.
»Du…hör… mirzu.«
»Was bist du?«
»Macht… Ich verschaff dir Macht… nur… laß… uns… gewinnen.«
Joel war jetzt fast neben ihm.
»Zu spät.«
Seine Beine euphorisch leicht, innerlich drehte sich ihm alles vor Freude. Die Hölle hinter ihm, die Hölle neben ihm, was machte ihm das schon? Er konnte laufen.
Erzog an Voight vorbei, fließend-locker die Gelenke: eine unbeschwerte Maschine.
»Sauhund. Sauhund. Sauhund -« sagte der Dienstgeist, sein Gesicht verzerrt vor viehisch quälendem Streß. Und flackerte dieses Gesicht nicht unruhig auf, als Joel daran vorbeirannte ? Wich nicht von seinen Zagen für einen Augenblick der trügerische Eindruck, sie wären menschlich? Dann hatte er Voight klar abgehängt, und die Massen jubelten, und die Farben fluteten zurück in die Welt. Der Sieg stand bevor. Er wußte nicht, für welche Sache, aber Sieg blieb Sieg.
Dort war Cameron, er sah ihn jetzt; er stand auf den Stufen neben einem Mann, den Joel nicht kannte, ein Mann in einem Nadelstreifenanzug. Cameron lächelte und schrie in einer für ihn untypischen Begeisterung und winkte Joel von den Stufen aus zu.
Er rannte, falls überhaupt möglich, noch etwas schneller Richtung Ziellinie; Camerons Gesicht schmeichelte seiner Kraft.
Dann, augenscheinlich, veränderte sich das Gesicht. War es der flimmernde Hitzeschleier, der sein Haar schimmern ließ? Nein, jetzt brodelte sein Wangenfleisch blasig auf, und dunkle Flecken, die zusehends noch dunkler wurden, bedeckten seinen Hals. Jetzt standen ihm, buchstäblich, die Haare zu Berge, und einäschernder Glutschein züngelte flackernd auf von seiner Kopfhaut. Cameron brannte-und immer noch das Lächeln, und immer noch die winkende Hand.
Joel durchschauerte abrupte Verzweiflung.
Hölle hinten. Hölle vorn.
Das war nicht Cameron. Cameron war nirgends zu sehen. Also war Cameron abserviert.
Das wußte er instinktiv. Cameron war abserviert. Und dieses schwarze Zerrbild, das ihn anlächelte und ihn willkommen hieß, war seine Sterbephase, noch einmal gespielt zum Entzücken seiner Bewunderer.
Joels Schritt stockte, der Lauf rhythmus war dahin. Hinter sich hörte er Voights Atem, entsetzlich schwer, nah und näher.
Urplötzlich revoltierte sein ganzer Körper. Sein Magen verlangte das Erbrechen seines Inhalts, seine Beine schrien nach Zusammenbruch, sein Kopf verweigerte, bis auf die nackte Angst, das Denken.
»Lauf«, sagte er zu sich. »Lauf. Lauf. Lauf.«
Aber da vorn wartete die Hölle. Wie konnte er solch einer Abscheulichkeit in die Arme laufen?
Voight hatte die Lücke zwischen ihnen geschlossen, war jetzt Schulter an Schulter mit ihm, und rempelte ihn an, als er vorbeizog. Mühek»
wurde Joel der Sieg entrissen: Leckerei aus Babyfingern.
Die Ziellinie war ein Dutzend Laufschritte weit weg, und Voight lag
Weitere Kostenlose Bücher