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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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hatte sie sich immer verhalten, das war ihre Art, liebevoll zu sein.
    Nach dieser Begrüßung setzte sie sich neben dem Fenster nieder und starrte hinaus über die Seine. Kleine graue Eisschollen trieben unter der Brücke dahin, schaukelten und rotierten in der Strömung. Das Wasser sah todbringend aus, als könnte einem seine schwarzkalte Bitterkeit den letzten Atem herauspressen.
    »In was für Schwierigkeiten steckt Phillipe?«
    »Man beschuldigt ihn…«
    Ein winziges Zögern. Das Zucken eines Augenlids.
    »…des Mordes.«
    Lewis hätte am liebsten gelacht; schon der bloße Gedanke war aberwitzig. Phillipe war neunundsechzig Jahre alt und sobravund sanftmütig wie ein Lamm.
    »Es ist die Wahrheit, Lewis. Ich konnte dir das freilich nicht gut per Telegramm mitteilen. Ich mußt’ es dir selber sagen. Mord. Er steht unter Mordanklage.«
    »Und wen… ?«
    »Ein Mädchen natürlich. Eines seiner Luxusgeschöpfe.«
    »Er treibt’s noch immer, ja?«
    »Er stirbt noch mal auf einer Frau, haben wir damals geflachst, weißt du noch?«
    Lewis nickte andeutungsweise.
    »Sie war neunzehn. Natalie Perec. Kein ungebildetes Mädchen, offenbar. Und hinreißend hübsch. Langes rotes Haar. Erinnerst du dich an Phülipes große Schwäche für Rothaarige?«
    »Neunzehn? Er hat Neunzehnjährige?«
    Sie antwortete nicht. Lewis setzte sich, weil er wußte, daß es sie irritierte, wenn er durch den Raum tigerte. Im Profil war sie noch immer schön, und der Hauch Gelbblau durchs Fenster nahm den Falten in ihrem Gesicht die Härte, löschte auf magische Weise fünfzig Jahre Leben aus.
    »Wo ist er jetzt?«
    »Sie haben ihn eingesperrt. Sie sagen, er ist gemeingefährlich. Sie sagen, er könnte einen zweiten Mord begehen.«
    Lewis schüttelte den Kopf. Ein Schmerz pochte in seinen Schläfen.
    Wenn er nur die Augen schließen könnte; dann ginge er vielleicht weg.
    »Er muß unbedingt mit dir reden. Ganz, ganz dringend.«
    Aber womöglich war Schlaf bloß eine Flucht. Bei dieser Sache hier konnte selbst er nicht Zuschauer bleiben.
    Phillipe Laborteaux starrte Lewis über den kahlen, zerschrammten Tisch hinweg an. Er wirkte erschöpft und verstört. Sie hatten sich nur mit einem Händedruck begrüßt, jeder weitere körperliche Kontkt war strengstens untersagt.
    »Ich bin völlig verzweifelt«, sagte er. »Sie ist tot. Meine Natalie ist tot.«
    »Erzähl mir, was passiert ist.«
    »Ich hab’ ein kleines Appartement am Montmartre. In der Rue des Martyrs. Eigentlich nur ein Zimmer, um auch mal Freunde einladen zu können. Weißt du, Catherine hält die Nummern immer so peinlich in Ordnung, da kann sich ein Mann einfach nicht ausbreiten.
    Natalie hat dort gewöhnlich viel Zeit mit mir verbracht, jeder im Haus hat sie gekannt. Sie war so umgänglich und liebenswürdig, so schön.
    Und gescheit. Sie hatte vor, eventuell Medizin zu studieren. Und sie hat mich geliebt.«
    Phillipe sah immer noch blendend aus. Ja, im Laufe der sich wiederholenden Moden und Vorlieben kamen seine Eleganz, sein fast verwegenes Gesicht, sein wie beiläufiger Charme wieder voll zur Geltung. So etwas wie der Hauch eines verlorenen Zeitalters.
    »Am Sonntagmorgen bin ich kurz aus dem Haus, in die Patisserie.
    Und als ich zurückkomme…« Einen Moment lang versagte ihm die Stimme. »Lewis…« Ohnmächtige Frustration trieb ihm die Tränen in die Augen. Dies hier machte ihm so schwer zu schaffen, daß sein Mund sich sträubte, die notwendigen Laute hervorzubringen.
    »Bitte, du brauchst mir doch…« fing Lewis an.
    »Ich will’s dir aber sagen, Lewis. Ich will, daß du’s weißt, du sollst sie sehen, wie ich sie gesehn hab’ - damit du weißt, worauf man sich…
    man sich… sich gefaßt machen muß auf dieser Welt.« In zwei anmutigen Bächlein liefen ihm die Tränen übers Gesicht. Er umschloß Lewis’ Hand mit der seinen, so fest, daß es schmerzte. »Sie war über und über voll Blut. Voller Wunden. Die Haut heruntergerissen… die Haare ausgerissen. Ihre Zunge war auf dem Kissen, Lewis. Stell dir vor. Sie hatte sie in ihrer Sterbensangst abgebissen. Sie lag da einfach auf dem Kissen. Und ihre Augen, die schwammen ganz im Blut, als hätte sie Blut geweint. Sie war das liebste Wesen auf der ganzen Welt, Lewis. Sie war schön.«
    »Nichts mehr, ich bitt’ dich.«
    »Ich möchte sterben, Lewis.«
    »Nein.«
    »Ich will nicht mehr leben. Wozu noch.«
    »Sie werden dir keinerlei Schuld nachweisen.«
    »Das ist mir egal, Lewis. Jetzt mußt du dich um Catherine

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