Das 3. Buch Des Blutes - 3
war nicht zu sehen gewesen, solange draußen noch Nacht war. Jetzt brach die Dämmerung an, und Säulen aus Spülwasserlicht zwängten sich durch den Rost herein.
Sie beugte sich zu dem Gitter hinunter, stieß mit Gewalt dagegen, und plötzlich war der Tag bei ihr im Blindschacht, umgab sie ringsum. Durch die kleine Tür mußte sie sich regelrecht hindurchpressen, und die ganze Zeit über glaubte sie, im nächsten Augenblick spüren zu können, wie das Wesen ihr über die Beine kroch; aber sie bugsierte sich in die Welt, ohne sich hinterher über mehr als gequetschte Brüste beklagen zu müssen.
An dem verlassenen Grundstück hatte sich seit Barberios Besuch im wesentlichen nichts geändert. Es war höchstens noch dichter von Nesseln überwuchert. Eine Weile stand sie da und atmete in tiefen Zügen die frische Luft ein, dann steuerte sie auf den Zaun und die dahinter liegende Straße los.
Um die Dicke mit dem verstörten Blick und den stinkenden Kleidern machten Zeitungsjungen und Hunde gleichermaßen einen weiten Bogen, und unbehelligt ging sie nach Hause.
Drei: Zensierte Szenen
Das war noch nicht das Ende.
Kurz nach halb zehn begab sich die Polizei zum Filmpalast.
Birdy begleitete sie. Die Durchsuchung führte zur Entdeckung der verstümmelten Körper von Dean und Ricky und ebenso der Überreste von »Sonny« Barberio. Im oberen Stockwerk fanden sie in einem Winkel des Gangs einen kirschroten Schuh.
Birdy sagte nichts, aber sie wußte Bescheid. Lindi Lee hatte das Kino nie verlassen.
Sie wurde wegen eines Doppelmords vor Gericht gestellt, von dem niemand ernstlich annahm, daß sie ihn begangen hätte, und aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Auf gerichtliche Anordnung wurde verfügt, daß sie für einen Zeitraum von nicht weniger als zwei Jahren unter psychiatrische Beobachtung zu stellen sei. Möglicherweise hatte die Frau tatsächlich keinen Mord begangen, aber es war klar, daß sie eine halluzinierende Geisteskranke war. Geschichten von wandelnden Krebsen sind für niemandes Ruf besonders förderlich.
Im Frühsommer des folgenden Jahres ließ Birdy eine Woche lang das Essen sein. Das meiste, was sie in dieser Zeit an Gewicht verlor, war Wasser, aber es reichte aus, um ihre Freunde in der Hoffnung zu bestärken, daß sie endlich das große Problem lösen würde.
Dieses Wochenende war sie dann vierundzwanzig Stunden lang abgängig.
Birdy fand Lindi Lee in einem verlassenen Haus in Seattle. Sie war nicht allzuschwer aufzuspüren gewesen; der armen Lindi fiel es in diesen Tagen wirklich nicht leicht, die Kontrolle über sich zu behalten, geschweige denn Möchtegernverfolgern auszuweichen. Wie es der Zufall wollte, hatten ihre Eltern sie einige Monate zuvor endgültig aufgegeben. Nur Birdy hatte weitergesucht, einen Privatdetektiv bezahlt, der das Mädchen aufspüren sollte, und schließlich wurde ihre Geduld mit dem Anblick der zerbrechlichen Schönheit belohnt, zerbrechlicher als je, aber noch immer schön, wie sie da in diesem kahlen Zimmer saß. Fliegen durchschwirrten die Luft. Ein Scheißehaufen, vielleicht von einem Menschen, saß mitten auf dem Boden.
Birdy zog einen Revolver, ehe sie die Tür öffnete. Lindi Lee sah auf von ihren Gedanken, oder womöglich seinen Gedanken, und lächelte sie an. Die Begrüßung dauerte nur einen Augenblick, bis der Schmarotzer in Lindi Lee Birdys Gesicht wiedererkannte, den Revolver in ihrer Hand sah und haargenau wußte, mit welchem Vorhaben sie gekommen war.
»Also gut«, sagte er und stand auf, um seinem Besucher entgegenzutreten.
Lindi Lees Augen platzten, ihr Mund platzte, ihre Fotzeundihr Arsch, ihre Ohren und ihre Nase platzten allesamt, und in schockierenden pinkfarbenen Bächen strömte der Tumor aus ihr heraus. Er kam herausgeschlängelt aus ihren milchlosen Brüsten, aus einem Schnitt in ihrem Daumen, aus einer Abschürfung an ihrem Schenkel. Wo immer Lindi Lee offen war, drängte er hervor.
Birdy hob den Revolver und feuerte dreimal. Der Krebs machte einen Ausfall in ihre Richtung, wich dann nach hinten zurück, taumelte und brach zusammen. Sobald sich nichts mehr rührte, nahm Birdy ruhig die Säureflasche aus ihrer Tasche, schraubte den Verschluß ab und leerte den ätzenden Inhalt auf Menschenleib und Tumor gleichermaßen aus. Er gab keinen Laut von sich, als er sich auflöste, und sie ließ ihn dort liegen, in einer Sonnenlache; beißender Rauch stieg auf von dem heillo sen Durcheinander.
Sie trat, nach getaner Pflicht, auf die Straße hinaus
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