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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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nicht erreichen. Gott dankend, daß sie so schlank war wie die Mutter, zwängte Helen sich durch die schmale Öffnung. Dabei blieb ihr Kleid an einem Nagel hängen. Sie fuhr herum, um es mit zitternden Fingern loszumachen. Als sie sich wieder umdrehte, hatte sie die Leiche aus den Augen verloren.
    Blind tastete sie vor sich herum; ihre Hände fanden Holz und Lumpen und etwas, das sich wie die Lehne eines alten Polstersessels anfühlte, aber nicht die kalte Haut des Kindes.
    Sie hatte sich gegen den Kontakt mit dem Körper abgehärtet.
    In den letzten Stunden hatte sie Schlimmeres durchgestanden, als ein totes Kind aufzuheben. Entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen, rückte sie ein wenig weiter voran, die Schienbeine aufgescheuert und die Finger mit spitzen Splittern besetzt. Lichtblitze erschienen in den Winkeln ihrer schmerzenden Augen; das Blut winselte in ihren Ohren. Aber dort! Dort ! Knappe eineinhalb Meter vor ihr war der Körper.
    Sie duckte sich, um unter einem Holzbalken durchzulangen, aber ihre Finger verfehlten das trostlose Bündel um Millimeter.
    Sie streckte sich weiter, wobei das Gewimmer in ihrem Kopf sich steigerte, aber sie konnte das Kind nicht erreichen. Es blieb ihr nichts übrig, als sich noch mehr zusammenzukrümmen und in das Schlupfloch hineinzuzwängen, das die Kinder im Kern des Scheiterhaufens gelassen hatten.
    Es war schwierig, da durchzukommen. Das Versteck war so klein, daß sie kaum auf Händen und Knien kriechen konnte;
    aber sie schaffte es. Das Kind lag mit dem Gesicht nach unten.
    Sie überwand den letzten Rest Empfindlichkeit und schickte sich an, es aufzuheben. Im selben Augenblick landete etwas auf ihrem Arm. Der Schreck fuhr ihr durch die Glieder. Beinah 71
    schrie sie auf, unterdrückte aber den Impuls und streifte den Störer mit der Hand ab. Summend erhob er sich von ihrer Haut.
    Dieses Gewimmer in ihren Ohren - das war gar nicht ihr Blut, es war der Bienenstock.
    »Ich wußte, daß du kommst«, sagte die Stimme hinter ihr, und eine breite Hand legte sich ihr übers Gesicht. Sie fiel nach hinten, und der Bonbonverkäufer schloß sie in seine Arme.
    »Wir müssen gehn«, sagte er an ihrem Ohr, während sich flakkernder Lichtschein zwischen den aufgeschichteten Bauholztrümmern ausbreitete. »Uns auf den Weg machen, du und ich.«
    Verzweifelt versuchte sie, sich von ihm zu befreien und den Leuten da draußen zuzuschreien, sie sollten das Freudenfeuer nicht anzünden, aber er hielt sie liebevoll an sich gepreßt. Der Lichtschein wurde stärker. Er brachte Wärme mit sich; und durch das Anzündmaterial und die ersten Flammen konnte Helen Gestalten sehen, die sich aus der Dunkelheit des Hofes dem Scheiterhaufen näherten. Schon die ganze Zeit über waren sie dagewesen, in Warteposition; hatten in den eigenen vier Wänden das Licht ausgeknipst und es auf allen Korridoren zertrümmert. Ihr letztes Komplott.
    Der Scheiterhaufen fing mit Macht und Liebe Feuer, aber wegen irgendeines Tricks in der Konstruktion griffen die Flammen nicht schnell auf Helens Versteck über; ebensowenig drang der Rauch durch die Möbelteile und erstickte sie. Es war ihr möglich, zu beobachten, wie die Gesichter der Kinder leuchteten; wie die Eltern ihnen zuriefen, nicht zu nah heranzutreten, und wie sie ihnen nicht gehorchten; wie die alten Frauen, innerlich erkaltet, sich die Hände wärmten und in die Flammen lächelten. Nunmehr wurden das Tosen und Prasseln ohrenbetäubend, und der Bonbonverkäufer ließ Helen sich heiser schreien, in der sicheren Gewißheit, daß niemand sie hören konnte, und selbst wenn, niemand sich rühren würde, um sie dem Feuer wieder zu entreißen.
    Mit dem Heißerwerden der Luft räumten die Bienen den Bauch des Dämons und irrten in schreckverstörtem Flug durch die Gegend. Einige fingen beim Versuch zu entkommen Feuer und stürzten wie winzige Meteore zu Boden. Der Körper des kleinen Kerry, der ganz in der Nähe der herankriechenden Flammen lag, begann zu schmoren. Sein flaumiges Haar rauchte, sein Rücken warf Blasen.
    Bald kroch die Hitze Helens Kehle hinunter und dörrte ihr Flehen weg. Erschöpft sank sie wieder in die Arme des Bonbonverkäufers zurück, fand sich ab mit seinem Triumph.
    Augenblicke noch, und sie würden sich zusammen auf den Weg machen, wie er versprochen hatte, und es war nichts daran zu ändern.
    Vielleicht würden die Leute sich, wie er es vorausgesagt hatte, an sie erinnern, wenn sie ihren geborstenen Schädel in der morgigen Asche

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