Das 5. Buch des Blutes - 5
Garvey.«
Der Mann nickte, gab aber kein Kompliment zurück. Jerry, der darauf brannte, aus der Kälte zu kommen, öffnete die Eingangstür und ging nach drinnen voran.
»Ich hab’ bloß zehn Minuten«, sagte Garvey.
»Schön«, antwortete Jerry. »Ich wollt’ Ihnen nur den Grundriß zeigen.«
»Sie haben ein Baugutachten erstellt?«
»Natürlich.«
Das war gelogen. Jerry hatte sich im vorigen August, durch einen Gewährsmann im Baureferat, einen flüchtigen Eindruck von den Räumlichkeiten verschafft und hatte das Gebäude seitdem mehrere Male von außen betrachtet. Aber es war jetzt fünf Monate her, seit er es tatsächlich betreten hatte; hoffentlich war es in der Zwischenzeit nicht schon endgültig ein Opfer zunehmenden Verfalls geworden. Sie betraten die Vorhalle. Es roch feucht hier, aber noch erträglich.
»Die Stromversorgung ist abgeschaltet«, sagte er. »Wir müssen uns mit der Taschenlampe behelfen.« Er fischte die Hochleistungsstablampe aus seiner Tasche und richtete den Lichtkegel auf die Innentür. Sie war mit einem Vorhängeschloß versperrt. Wie vom Donner gerührt starrte er das Schloß an. Sollte diese Tür verschlossen gewesen sein, als er das letzte Mal hier war, dann konnte er sich nicht daran erinnern. Er probierte den einen Schlüssel, den man ihm gegeben hatte, und noch ehe er ihn ins Schloß zu stecken versuchte, wußte er, daß die beiden nie und nimmer zusammenpaßten. Er fluchte leise und ging rasch die verfügbaren Alternativen durch. Entweder machten er und Garvey kehrt und überließen das Hallenbad seinen Geheimnissen - wenn man Schimmel, schleichende Fäulnis und ein Dach, das kurz vorm Zusammenkrachen war, als Geheimnisse bezeichnen konnte -, oder er machte einen Versuch einzubrechen. Flüchtig blickte er Garvey an, der aus seiner Innen-tasche eine gewaltige Zigarre geholt hatte und über das Ende mit einer Flamme hinstrich; samtiger Rauch wirbelte auf.
»Tut mir leid wegen der Verzögerung«, sagte er.
»Das kommt vor«, erwiderte Garvey offensichtlich ganz gelassen.
»Ich glaub’, hier ist nur mit Gewalt was auszurichten«, sagte Jerry und sondierte damit, was der andere von einem Einbruch hielt.
»Soll mir recht sein.«
Flink durchstöberte Jerry die verdunkelte Vorhalle nach einem Werkzeug. Im Kassenraum fand er einen Stuhl mit Metallbeinen. Er bugsierte ihn aus der engen Kabine, ging
wieder zur Tür hinüber - wobei er deutlich Garveys amüsierten, aber wohlwollenden Blick auf sich spürte - und zerbrach, eines der Stuhlbeine als Hebel benutzend, ein Gelenkstück des Vorhängeschlosses. Das Schloß fiel klirrend auf den gefliesten Boden. »Sesam, öffne dich«, murmelte er mit einiger Befriedigung und stieß für Garvey die Tür auf.
Als die beiden über die Schwelle traten, hallte das Geräusch des zu Boden fallenden Schlosses in dem verlassenen Gang noch nach, und während es langsam verklang, sank das Getöse zu einem Seufzer ab. Das Innere sah unfreundlicher aus, als Jerry es in Erinnerung hatte. Das unruhige Tageslicht, das im Gang durch die schimmelbeschlagenen Scheiben der Dachfenster fiel, war blaugrau - wobei das Licht und das, worauf es fiel, miteinander in Trostlosigkeit wetteiferten.
Früher mal war das Leopold-Road-Hallenbad ohne Zweifel ein Art-deco-Prachtstück gewesen, mit schimmernden Kacheln und verspielten, in Boden und Wände eingearbeiteten Mosaiken. Aber bestimmt nicht in Jerrys Erwachsenenleben.
Die Fliesen zu seinen Füßen hatten sich durch die Feuchtigkeit längst gehoben; von den Wänden des Ganges waren sie zu Hunderten heruntergefallen, um Muster aus weißer Keramik und schwarzem Mörtel zu hinterlassen - wie ein riesiges, bescheuertes Kreuzworträtsel. Der Eindruck desolater Verwahrlosung war so überdeutlich, daß Jerry es schon fast aufgeben wollte, Garvey das Bauprojekt zu verkaufen. Eine Verkaufschance bestand hier mit Sicherheit nicht, selbst bei der lächerlich niedrigen Preisforderung. Aber Garvey schien interessierter, als Jerry für möglich gehalten hätte. Seine Zigarre pfaffend und beim Gehen vor sich hin brummelnd, pirschte er bereits den Gang hinunter. Was anderes als makabre Neugier konnte es Jerrys Empfinden nach nicht sein, was den Baulöwen tiefer in dieses hallende Mausoleum hineinführte.
Und doch:
»Das hat Atmosphäre. Aus dem Bau läßt sich was machen«, sagte Garvey. »Ich steh’ nicht gerade im Ruf, ein Menschenfreund zu sein, Coloqhoun - das wissen Sie ja wohl -, aber ich hab’ durchaus Sinn fürs
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