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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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leuchtendes Fischauge blickte zu ihnen hinauf, absolut unbeteiligt.
    »Hatte immer Angst vor Wasser«, sagte Garvey grüblerisch, während er in das leere Becken schaute. »Weiß nicht, woher das kommt.«
    »Aus der Kindheit«, äußerte Jerry aufs Geratewohl.
    »Das glaub’ ich nicht«, antwortete der andere. »Meine Frau sagt, es ist die Gebärmutter.«
    »Die Gebärmutter?«
    »Ich bin nicht gern drin rumgeschwommen, sagt sie«, antwortete er mit einem Lächeln, das auf seine Kosten hätte gehen können, aber noch wahrscheinlicher auf Kosten seiner Frau ging.
    Ein kurzer Laut drang über die leere Weite des Beckens zu ihnen, als falle etwas zu Boden. Garvey erstarrte. »Hören Sie das?« sagte er. »Es ist jemand hier herin.« Seine Stimme war plötzlich eine halbe Oktave höher.
    »Ratten«, antwortete Jerry. Er wollte eine Begegnung mit den Ingenieuren möglichst vermeiden; da könnten einem leicht schwierige Fragen gestellt werden.
    »Geben Sie mir die Taschenlampe«, sagte Garvey und riß sie Jerry aus der Hand. Prüfend ließ er den Lichtkegel die gegenüberliegende Seite des Beckens entlanggleiten. Er beleuchtete eine Reihe Umkleideräume und eine offene Tür, die aus der Schwimmhalle hinausführte.
    Nichts rührte sich.
    »Ich mag Ungeziefer nicht…« sagte Garvey.
    »Der Bau ist ziemlich verwahrlost«, antwortete Jerry.
    »…und besonders nicht die menschliche Spielart.« Garvey schob die Taschenlampe wieder Jerry in die Hände. »Ich hab’
    Feinde, Mr. Coloqhoun. Aber Sie haben ja schließlich Ihre Nachforschungen über mich angestellt, stimmt’s? Sie wissen, daß ich nicht blütenweiß bin.« Garveys Besorgnis wegen der Geräusche, die er zu hören geglaubt hatte, ergab jetzt einen unangenehmen Sinn. Nicht vor Ratten hatte er Angst, sondern vor schwerer Körperverletzung. »Ich glaub’, ich sollte gehen«, sagte er. »Zeigen Sie mir das andere Schwimmbecken, und dann ab durch die Mitte.«
    »Ja, klar.« Jerry wollte genauso gern hier raus wie sein
    Interessent. Von dem Zwischenfall war ihm noch wärmer geworden. Der Schweiß floß jetzt reichlich, rieselte ihm den Nacken hinunter. Seine Nebenhöhlen schmerzten. Er führte Garvey durch die Halle zur Tür des größeren Schwimmbeckens und zog am Griff. Die Tür widersetzte sich.
    »Schwierigkeiten?«
    »Sie muß von innen abgeschlossen sein.«
    »Gibt’s noch ‘nen anderen Zugang?«
    »Ich glaub’ schon. Soll ich’s von der Rückseite aus probieren?«
    Garvey blickte flüchtig auf seine Uhr. »Zwei Minuten«, sagte er. »Ich bin verabredet.«
    Garvey sah zu, wie Coloqhoun in dem verdunkelten Korridor verschwand, bis nur noch der vor ihm herlaufende Taschenlampenschein übrig war. Er konnte den Mann nicht leiden. Er war zu glatt rasiert; und seine Schuhe waren italienisch. Aber - vom Anbieter mal abgesehen - das Projekt hatte seine Vorzüge. Garvey mochte die Schwimmbecken und die dazugehörigen Anlagen, die Gleichförmigkeit ihrer Gestaltung, die Banalität ihrer Dekoration. Im Unterschied zu vielen fand er öffentliche Einrichtungen beruhigend:
    Krankenhäuser, Schulen, selbst Gefängnisse. Sie schmeckten nach sozialer Ordnung, sie beschwichtigten jenen Teil in ihm, der sich vor dem Chaos ängstigte. Besser eine zu sehr geregelte Welt als eine unzureichend geregelte.
    Wieder war seine Zigarre ausgegangen. Er steckte sie zwischen die Zähne und zündete ein Streichholz an. Während die erste Flamme erlosch, erblickte er andeutungsweise weiter vorn im Gang ein nacktes Mädchen, das ihn beobachtete. Ein nur ganz flüchtiger Anblick, aber als ihm das Zündholz aus den Fingern fiel und das Licht ausging, erschien sie vor seinem
    geistigen Auge, vollendet erinnert. Sie war jung - allenfalls fünfzehn - und ihr Körper voll entwickelt. Der Schweiß auf ihrer Haut verlieh ihr eine solche Sinnlichkeit, daß sie seinem Traumleben hätte entsprungen sein können. Er ließ seine kalte Zigarre fallen, kramte nach einem weiteren Streichholz und zündete es an, aber in den knappen Sekunden Finsternis war die kindliche Schöne verschwunden; nur ein Rest ihres süßen Körpergeruchs hing noch in der Luft.
    »He, Mädchen?« sagte er.
    Der Anblick ihrer Nacktheit und der Schreck in ihren Augen machten ihn scharf auf sie.
    »Mädchen?«
    Die Flamme des zweiten Zündholzes drang nicht mehr als ein, zwei Meter weit in den Gang vor ihm.
    »Bist du da?«
    Sie konnte, seiner Überlegung nach, nicht weit sein. Er zündete ein drittes Streichholz an und ging sie suchen.

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