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Das 5. Buch des Blutes - 5

Das 5. Buch des Blutes - 5

Titel: Das 5. Buch des Blutes - 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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herumhantierte. Schlösser waren Chandamans Spezialgebiet. Innerhalb von Sekunden klickte der Metallbügel auf. Garvey klappte seinen Schirm zu und schlüpfte in die Vorhalle.
    »Warte hier«, wies er Chandaman an. »Und schließ die Tür.«
    »Ja, Sir.«
    »Wenn ich dich brauche, ruf ich. Hast du die Stablampe?«
    Chandaman zog die Stablampe aus seiner Jacke. Garvey nahm sie, knipste sie an und entschwand in den Korridor.
    Entweder war es draußen wesentlich kälter als vorvorgestern, oder hier drinnen war es heiß. Er knöpfte das Jackett auf und lockerte die straff gebundene Krawatte. Die Hitze war ihm durchaus willkommen, erinnerte sie ihn doch an den Schimmer auf der Haut des Traummädchens, an den schwül-heißen Ausdruck ihrer dunklen Augen. Im diffusen, von den Kacheln des Korridors reflektierten Taschenlampenschein schritt er voran. Sein Orientierungssinn war immer gut gewesen, und so brauchte er nur kurze Zeit, um zu der Stelle vor dem großen Schwimmbecken zu finden, wo er dem Mädchen begegnet war.
    Hier blieb er regungslos stehen und lauschte.
    Garvey war ein Mann, der es gewohnt war, hinter sich zu schauen. Sein ganzes Berufsleben lang, ob im Gefängnis oder auf freiem Fuß, hatte er immer auf einen Attentäter in seinem Rücken gefaßt sein müssen. Diese unaufhörliche Wachsamkeit ließ ihn schon das geringste Zeichen menschlicher Gegenwart registrieren. Laute, von denen ein anderer womöglich keine
    Notiz genommen hätte, schlugen einen warnenden Wirbel auf seinem Trommelfell. Aber hier? Nichts. Schweigen in den Gängen; Schweigen in den Schwitzvorräumen und den Dampfbädern; Schweigen in jeder gekachelten Enklave vom einen Ende des Gebäudes zum anderen. Und doch wußte er, daß er nicht allein war. Wenn ihm fünf Sinne versagten, ein sechster - der vielleicht mehr zu der Bestie in ihm gehörte als zu dem Mann von Welt, auf den sein teurer Anzug schließen ließ - witterte Präsenzen. Diese Fähigkeit hatte ihm mehr als einmal die Haut gerettet. Jetzt, so hoffte er, würde sie ihn in die Arme der Schönheit führen.
    Er verließ sich auf seinen Instinkt; machte die Taschenlampe aus und steuerte, an den Wänden sich vorantastend, den Gang hinunter, aus dem das Mädchen zuerst aufgetaucht war. Die Gegenwart seiner Beute war ihm eine süße Qual. Er vermutete, daß sie bloß eine Wand weit entfernt war und in irgendeiner parallel verlaufenden, geheimen Passage, zu der er keinen Zugang hatte, mit ihm Schritt hielt.
    Die Vorstellung dieses Pirschgangs gefiel ihm. Sie und er, allein in diesem schweißtreibenden Irrgarten, ein Spiel spielend, von dem sie beide wußten, daß es mit einer Gefangennahme enden mußte. Er trat ganz leise auf, pochend zählte sein Puls die Sekunden der Jagd an Hals und Handgelenk und Weichteilen. Sein Kruzifix klebte ihm am Brustbein, so stark schwitzte er.
    Endlich teilte sich der Korridor. Garvey machte halt. Es gab äußerst wenig Licht hier - und das vorhandene zeichnete die Tunnels in trügerischen Konturen. Unmöglich, die Entfernung einzuschätzen. Aber er verließ sich auf seinen Instinkt, bog nach links ab und ging immer der Nase nach. Dann: eine Tür.
    Sie war offen, und er ging hindurch in einen größeren Raum;
    zumindest schloß er das aus dem gedämpften Laut seiner Schritte. Wieder blieb er regungslos stehen. Diesmal wurden seine sich bis zum Äußersten anstrengenden Ohren mit einem
    Laut belohnt: vom anderen Ende des Raumes her das weiche Tappen nackter Füße auf den Fliesen. Phantasierte er das jetzt, oder sah er das Mädchen sogar flüchtig, ihr Leib aus der Düsternis herausmodelliert, bleicher als die umgebende Dunkelheit und glatter? Ja! Sie war es. Fast hätte er laut hinter ihr her gerufen, besann sich dann aber eines Besseren. Er nahm schweigend die Verfolgung auf, bereit, ihr Spiel zu spielen, solange es ihr Spaß machte. Den Raum durchquerend, durchschritt er wieder eine Tür, den Eingang zu einem weiteren Tunnel. Hier war die Luft viel wärmer als irgendwo sonst im Gebäude, klebrig feucht und schmeichlerisch, wie sie sich so an ihn schmiegte. Eine momentane Angst schnürte ihm die Kehle zusammen; daß er als Autokrat gegen jeden Artikel seines Glaubensbekenntnisses verstieß, wenn er seinen Kopf so bereitwillig in diese warme Schlinge steckte. Es konnte so leicht eine abgekartete Sache sein: das Mädchen, die Jagd. Schon um die nächste Ecke waren möglicherweise die Brüste und die Schönheit fort - und statt dessen ein Messer an seinem

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