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Das 5. Gebot (German Edition)

Das 5. Gebot (German Edition)

Titel: Das 5. Gebot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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Jahren in London, in denen sie ihr anonymes Single-Dasein genossen hatte, fand sie die Anteilnahme der Nachbarn nicht nur tröstlich, sondern wirklich rührend. Sie wusste ganz genau, dass sie heute nicht würde kochen müssen, weil ihr garantiert jemand „einen schönen heißen Tee“ und etwas Essbares anbieten würde. Hier glaubten die Menschen noch an die Wunderheilung aller Wehwehchen durch Tee.
    Vicky stand unschlüssig im Wohnzimmer. George hatte recht, der Teppichboden musste so schnell wie möglich raus. Nicht wegen des Geruchs, Vicky ertrug einfach nicht den Anblick des Kreideumrisses und das getrocknete Blut. Hier hatte ihre Mutter gelegen. Hatte sie Schmerzen gehabt? War sie sofort bewusstlos gewesen oder hatte sie sich gewehrt oder gar versucht, Hilfe zu holen? Hatte sie ihren Mörder gesehen oder war sie von ihm von hinten so überrascht worden, dass sie nichts mehr mitbekommen hat? Vicky hoffte das inständig. Seitdem sie in England war, ließen sie die Gedanken daran nicht mehr los. Sie würde wohl für den Rest ihres Lebens darüber grübeln, ob ihre Mutter hatte leiden müssen. Die Polizei hatte ihr darauf auch keine befriedigende Antwort geben können.
    Es musste eine Menge vernichtet werden. Victoria graute es bei dem Gedanken, dass sie das gesamte Haus würde leerräumen müssen. Als Erstes bestellte sie einen Container, in dem sie den Abfall entsorgen konnte. Entsorgen lassen, hatte George gesagt. Irgendwie kam Vicky das nicht richtig vor. Sie konnte doch nicht fremde Leute damit beauftragen, Mums Sachen zu vernichten! Nein, sie würde das selbst machen. Das war sie ihrer Mutter schuldig. Mum hatte sich ihr Leben lang für sie krumm gemacht, da konnte sie auch mal ein paar Tage für sie schwitzen. Als Nächstes bestellte sie bei einem Speditionsunternehmen Umzugskartons, um darin die Habseligkeiten ihrer Mutter zu sortieren. Was sie selbst nicht mitnehmen wollte oder auf den Bazar kam, würde sie im Container entsorgen. Sie würde Mutters Sachen nicht den neugierigen Blicken der Nachbarn aussetzen.
    Die schrille Telefonklingel zerriss die Stille. Es war der Pfarrer. Er fragte, ob es recht sei, wenn morgen um drei Uhr der Lastwagen komme. Es war ihr recht, je schneller das Sofa und die beiden Bücherregale, die links und rechts vom Kamin standen, aus dem Wohnzimmer verschwunden waren, desto schneller konnte sie den Teppichboden herausreißen. Wenn morgen früh die Umzugskartons kamen, hatte sie immer noch genug Zeit, die Bücherschränke auszuräumen. Den Fernseher und die Essgruppe mit der Anrichte aus dem Speisezimmer konnte die Gemeinde ebenfalls brauchen, so dass sie sich um die Zimmer im Erdgeschoss keine weiteren Gedanken machen musste. Die Möbel hier waren wenig gebraucht, ihre Mutter hatte sich neu eingerichtet, bevor sie in Rente gegangen war.
    Nichts erinnerte im Wohnzimmer mehr an ihre gemütlichen Winterabende auf der petrolblauen Couch mit den zerschlissenen Armlehnen. Ihre Mutter hatte ihr gegenüber im Schaukelstuhl gesessen und mit unendlicher Geduld Quilts für den Bazar genäht, Stich für Stich, den Kopf tief gebeugt unter der Stehlampe mit den Bommeln am Schirm, die die Siamkatze Miss Jekyll zeit ihres Lebens fasziniert hatten. Sie hatten zusammen „Das Haus am Eaton Place“ oder „Der Doktor und das liebe Vieh“ im Fernsehen geguckt. Vicky meinte noch das leise Zischen des Gasfeuers im Kamin zu hören und das Schnurren von Miss Jekyll, wenn sie sich an den Armlehnen des Sofas mit Inbrunst die Krallen wetzte.
    Vicky stieg die schmale Treppe ins Obergeschoss hoch. Dort oben war alles noch so wie vor fünfzehn Jahren, als sie ihr Elternhaus verlassen hatte. Links die Toilette, daneben das Bad mit seinen rosa-lila Blümchentapeten und den dicken Raffgardinen. Eine Porzellanschale war bei der Suchaktion der Einbrecher zerbrochen, auf den hellen Fliesen war lilafarbenes Potpourri verstreut, das einen zarten Lavendelduft verströmte. Aus dem Weichholzwaschtisch quollen Watte, Pflaster und anderes Verbandsmaterial. Das linke Zimmer war das Schlafzimmer ihrer Eltern, und noch immer stand darin das alte Doppelbett in weißem Schleiflack. In diesem Bett war ihr Vater gestorben. Fiona hatte es nie übers Herz gebracht, das alte Schlafzimmer zu entsorgen. „Es wäre so, als würde ich ihn aus unserem Hochzeitsfoto herausschneiden“, hatte sie gesagt. Als Vicky klein gewesen war, durfte sie ab und zu in „Papas Bett“ schlafen. Die lindgrünen Pannesamt-Gardinen waren zugezogen,

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