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DAS 5. OPFER

DAS 5. OPFER

Titel: DAS 5. OPFER Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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du«, sagte sie schläfrig ins Telefon, ein Auge immer noch auf der Tür.
    »Ich habe dich doch nicht geweckt, oder?«
    »Nee. Du kennst mich doch, ich bin die Königin der Frühaufsteher.«
    »Wie laufen die Dinge in Worcester?«, fragte er in einem beinahe spöttischen Ton, als würde er irgendwie ahnen, dass sie überhaupt nicht dort war.
    »Nicht, wie ich erwartet hatte«, antwortete Reggie, sagte sich, dass sie paranoid war. Len war einfach nur albern. Er konnte keinesfalls wissen, dass sie ihn anlog. Trotzdem nagten Schuldgefühle an ihr, und so gut es tat, mit ihm zu reden, hatte sie es eilig, das Gespräch zu beenden, bevor er das bemerkte.
    »Und ist das gut oder schlecht?«, fragte er.
    »Schwer zu sagen.«
    »Mm«, sagte Len. Er schwieg einen Moment, wartete. Sie hörte eine seiner Katzen miauen, hörte zu, wie er seinen Kaffee anhob und einen Schluck trank.
    Reggie wand sich, hielt das Telefon an ihr anderes Ohr.
    »Ich werde dich anrufen, wenn ich wieder in der Stadt bin«, sagte sie. »Dann können wir dieses Picknick machen.«
    »Klingt wie ein Plan«, stimmte er zu.
    »Wir reden dann bald wieder.«
    »Reg?«
    »Ja?«
    »Nichts.« Er seufzte. »Ich seh dich dann, wenn du zurückkommst.«
    Sie stand aus dem Bett auf und streckte sich. Das Zimmer war genauso, wie es gewesen war, als sie es verlassen hatte, was verdammt gruselig war. Da war ein gerahmter Druck von M.C. Escher über ihrem Bett – Zeichnende Hände: eine Lithographie von dreidimensionalen Händen, die sich zeichnend selbst erschufen. Einige ihrer Entwürfe hingen immer noch an der Pinnwand, einschließlich eines Selbstporträts, das sie mit Kohle gezeichnet hatte – die Linien waren verwischt, ihre Augen zwei dunkle Höhlen: ein gespenstisches Waschbärmädchen, das vom Papier herabblickte und ihr zukünftiges Selbst fragte, warum sie zurückgekommen war.
    Reggie wandte sich von der Zeichnung ab, öffnete die Schranktür und fand ein paar Kleidungsstücke, die sie zurückgelassen hatte, als sie aufs College gegangen war. Im obersten Schrankfach, genau dort, wo sie sie zurückgelassen hatte, lag die Erinnerungskiste.
    Einen Monat nachdem die Hand ihrer Mutter gefunden worden war, wurde Reggie zu einem Psychologen geschickt, der sich auf Trauerarbeit spezialisiert hatte. Es war ein teiggesichtiger junger Mann gewesen, mit traurigen Augen, der eine Vorliebe für Rautenpullover hatte. Eine der Übungen, die er sie machen ließ, war, eine Erinnerungskiste anzulegen: eine besondere Schatzkiste voller Erinnerungsstücke an Vera. Reggie hatte eine der alten, hölzernen Zigarrenkisten ihres Großvaters benutzt und sie, den Anweisungen des Teigjungen folgend, mit Sachen vollgestopft, die sie immer an ihre Mutter erinnern würden. Dann hatte sie sie in einem Fach ganz oben in ihrem Schrank verstaut und sie zurückgelassen, als sie wegrannte, um ein neues Leben zu beginnen. Das war nicht gerade das, was der Trauerberater sich vorgestellt hatte, aber für Reggie hatte es funktioniert.
    Reggie griff nach oben und hob die Kiste herunter, blies eine Schicht Staub von ihrer Oberseite. Da war eine vollbusige, knapp bekleidete Frau auf dem Etikett, die sich an einen großen Globus lehnte. Mit zitternden Fingern öffnete Reggie den mit Scharnieren versehenen Deckel, spähte hinein und sah ein Durcheinander von Notizen, Streichholzbriefchen, eine gefaltete Seite, die aus einem Magazin gerissen worden war – ihre Mutter, das Aphrodite-Cold-Cream-Mädchen. Pflege dich wie eine Göttin.
    Reggie klappte den Deckel zu und verstaute die Kiste wieder im Schrankfach.
    Der Raum fühlte sich verstaubt und stickig an. Reggie ging zum Fenster und versuchte, es anzuheben, aber es klemmte. Sie wollte schon gegen die Unterseite des Rahmens schlagen, blickte dann auf ihren Verband vom gestrigen Fensterglasmissgeschick hinab und überlegte es sich anders.
    Sie zog eine Jeans an, griff sich ihre Schultertasche und ging in den Flur hinaus, blieb stehen, um bei ihrer Mutter hineinzuspähen, die fest schlief. Veras Mund stand offen, die Lippen und das Kinn waren mit klebrigem weißem Speichel verkrustet. Die Tür zu Taras Zimmer war geschlossen, und sie ging zu ihr hin, lauschte, doch von der anderen Seite kam kein Geräusch.
    Reggie glitt die Treppe hinab, vermied vorsichtig die Stufen, die knarrten – ihr Körper war auf Autopilot, erinnerte sich an jede kleine Einzelheit, an die sie seit Jahren nicht mehr gedacht hatte.
    Die Küche war sauber, roch aber immer noch nach

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