Das 500 Millionen Komplott (German Edition)
Beinen am Tresen saß und ihm kokett zulächelte. Der Portier hatte nicht die Unwahrheit gesagt, sie war eine Dame, elegant gekleidet, trug Slingpumps und war dezent geschminkt. Ihr enges rotes Sommerkleid betonte zwar ihre Reize, aber nicht übertrieben und somit völlig untypisch. Sie spiegelte das krasse Gegenteil von dem wider, was Grabowski erwartete. Nur ihr roter Lippenstift war für seinen Geschmack ein wenig zu aufdringlich, passte aber zu einer russischen Frau, für die es eine Art Statussymbol war. Sie stand auf der Seite der Wohlhabenden.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
Mit einem Lächeln deutete sie auf den freien Barhocker neben sich. Ihre schlanken Hände mit rot lackierten Fingernägeln waren Grabowski bisher nicht aufgefallen. Ebenso wenig der geschmackvolle, diskrete Ring, den sie an ihrer rechten Hand trug. Er war sicherlich einige -zigtausend Rubel wert. Sie schien eine ganz andere Frau zu sein und passte überhaupt nicht ins Rotlichtmilieu. War der äußere Schein nur Fassade? Vielleicht verhielt es sich wie bei denillegalen Taxifahrern und sie musste dazuverdienen, um sich und ihre Familie ernähren zu können? Arm und Reich lebten hier mit einer exorbitanten Kluft nebeneinander.
»Wie darf ich Sie ansprechen?« Grabowski fühlte sich ziemlich unwohl.
»Nennen Sie mich einfach Anastasija.«
Grabowski war erneut überrascht. Nicht nur die Eleganz und der Ring, sondern auch ihre Ausdrucksweise passten nicht ins klischeehafte Bild, welches er in der Bar von ihr gewonnen hatte. Allein die Art, wie sie sich ausdrückte, warf die Frage auf, ob sie wirklich im Gewerbe tätig war. Es schien eher so, als sei die Situation auch für sie unangenehm.
»Bitte«, sagte Grabowski, »verstehen Sie mich nicht falsch. Sie sind wirklich sehr hübsch und begehrenswert, aber ich habe nicht die Absicht, mit Ihnen auf mein Zimmer zu gehen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Spasibo«, bedankte sie sich auf Russisch und war von einer Minute auf die andere wie ausgewechselt. Ihr war die Erleichterung anzumerken. Erst jetzt fiel Grabowski auf, wie angespannt sie gerade noch gewesen war.
»Ich habe Sie in der Bar bewundert. Sie können ausgezeichnet tanzen. Aber ich glaube, Sie sind gar keine Tänzerin, zumindest nicht in diesem Milieu, nicht wahr?«
»Sie haben eine gute Menschenkenntnis«, entgegnete sie und was sie dann tat, erschreckte Grabowski mehr als alles andere. Sie griff in ihre Handtasche und holte eine Identkarte heraus, die sie diskret über die Theke schob. Grabowski sah ihr Lichtbild und las ihren Namen Anastasija Wladimirovna. Darüber stand mit großen Buchstaben ›Federalnaja Sluschba Besopasnosti‹, wasGrabowski mit kaltem Schaudern zur Kenntnis nahm. Sie gehörte der Bundesagentur für Sicherheit der Russischen Föderation an, dem Inlandsgeheimdienst, der als Nachfolge des KGB gegründet worden war. Grabowski wurde blass, als ihm bewusst wurde, dass er mit einer Agentin des Staatsschutzes am Tresen saß. Hinter wem war sie her? War sie auf Kurochkin angesetzt worden oder drohte das ganze Syndikat aufzufliegen? War er womöglich in eine Falle geraten und zu Kurochkins Opfer geworden, der von sich selbst ablenken wollte? War sie schon darüber informiert, dass er selbst einen Mord zu begehen hatte? Grabowski fühlte sich, als sei er in ein schweres Gewitter geraten.
5
Völlig übermüdet sah Grabowski auf seine Armbanduhr. Knapp vier Stunden waren vergangen, seit er Anastasija in der Hotelbar begegnet war. Erst vor wenigen Minuten war sie gegangen und er überlegte, ob sie ihn auf geschickte Weise verhört hatte. Es kam ihn wie eine Unterhaltung vor, im Nachhinein musste er sich jedoch selbst
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