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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ab?«
    »Kommt auf den Preis an.«
    »Was du mir geben möchtest. Es gehört dir.«
    Nachdem er seine Beichte hinter sich gebracht hatte, ging Stumpf wieder ins Bett und rauchte die Zigarette zu Ende.
    Bald würde es hell werden. Dämmerung im Dschungel: ein kostbares, allzu kurzes Intervall, bevor die Welt zu schwitzen anfing.
    Wie er diesen Ort haßte. Wenigstens hatte er keinen der Indianer angefaßt, war ihnen nicht einmal in Atemreichweite nahe gekommen. Welche Infektion sie Cherrick auch angehängt haben mochten, er konnte unmöglich angesteckt sein. In weniger als achtundvierzig Stunden würde er nach Santarem aufbrechen, und dann in eine Stadt, irgendeine Stadt, in die ihm der Stamm niemals folgen konnte. Er hatte seine Strafe bereits verbüßt, nicht? Er hatte mit der Fäulnis im Unterleib für seine Gier und Arroganz bezahlt, und mit den Schrecken, die er, wie er genau wußte, nie wieder völlig abschütteln würde. Laß das Strafe genug sein, betete er, und versank, bevor die Affen den Tag auszurufen begannen, in den Schlaf eines Schänders.
    Ein Käfer mit einem Rücken wie Edelsteine, der in Stumpfs Moskitonetz geraten war, summte in immer enger werdenden Kreisen herum und suchte nach einem Ausweg. Er konnte keinen finden. Schließlich schwebte er, von der Suche erschöpft, über dem schlafenden Mann und landete dann auf dessen Stirn. Dort krabbelte er und trank aus den Poren. Unter der kaum wahrnehmbaren Belastung brach Stumpfs Haut auf, und eine Spur winziger Wunden bildete sich.
    Sie waren am Nachmittag in das Indianerdorf gekommen, als die Sonne wie das Auge eines Basilisken war. Zuerst hatten sie gedacht, der Ort wäre verlassen. Locke und Cherrick waren in das Gebiet eingedrungen und hatten den an der Ruhr leidenden Stumpf im Jeep gelassen, wo die Hitze nicht ganz so schlimm war. Cherrick bemerkte das Kind als erster. Ein Junge von etwa vier oder fünf Jahren mit aufgedunsenem Magen, der das Gesicht mit dicken Streifen der Pflanzenfarbe urucu bemalt hatte, war aus seinem Versteck hervorgekommen und hatte, furchtlos in seiner Neugier, die Eindringlinge betrachtet. Cherrick stand völlig still, Locke ebenso. Der Stamm kam, einer nach dem anderen, aus den Hütten und unter dem Schutz der Bäume um das Dorf herum hervor und betrachtete die Neuankömmlinge, genau wie der Junge. Falls ihre breiten Gesichter mit den flachen Nasen irgendwelche Empfindungen ausdrückten, Locke konnte sie jedenfalls nicht lesen. Diese Leute – er betrachtete jeden Indianer als Angehörigen eines einzigen ekelhaften Stammes – waren unmöglich zu entschlüsseln; Täuschung war ihre einzige Fähigkeit.
    »Was treibt ihr hier?« sagte er. Die Sonne backte seinen Nacken. »Das ist unser Land.«
    Der Junge sah unverwandt zu ihm auf. Seine Mandelaugen drückten keine Angst aus.
    »Sie verstehen dich nicht«, sagte Cherrick.
    »Hol den Kraut her. Soll er es ihnen erklären.«
    »Er kann sich nicht bewegen.«
    »Bring ihn her«, sagte Locke. »Es ist mir gleich, ob er sich in die Hosen geschissen hat.«
    Cherrick ging den Pfad zurück und ließ Locke im Kreis der Hütten stehen.
    Dieser sah von Tür zu Tür, von Baum zu Baum, und versuchte, ihre Zahl zu schätzen. Es waren höchstens drei Dutzend Indianer, zwei Drittel davon Frauen und Kinder; Nachfahren des großen Volkes, das dereinst zu Zehntausenden das Amazonasbecken durchstreift hatte. Heute waren diese Stämme so gut wie ausgerottet. Der Regenwald, in dem sie seit Generationen glücklich gelebt hatten, wurde gerodet und niedergebrannt; achtspurige Autobahnen fraßen sich durch ihre Jagdgründe. Alles, was ihnen heilig war – die Wildnis und ihr Platz in deren System –, wurde niedergetrampelt und entweiht:
    Sie waren Vertriebene in ihrem eigenen Land. Dennoch weigerten sie sich, ihren neuen Herren Tribut zu zollen, ungeachtet der Waffen, die diese mit sich brachten. Nur der Tod würde sie von ihrer Niederlage überzeugen, dachte Locke.
    Cherrick fand Stumpf zusammengekauert auf dem Vordersitz des Jeeps, seine teigigen Züge waren verzerrter denn je.
    »Locke braucht dich«, sagte er und rüttelte den Deutschen aus seiner Benommenheit. »Das Dorf ist immer noch bewohnt.
    Du mußt mit ihnen reden.«
    Stumpf stöhnte. »Ich kann mich nicht bewegen«, sagte er, »ich sterbe…«
    »Locke will dich tot oder lebendig«, sagte Cherrick. Ihre unausgesprochene Angst vor Locke gehörte zu den beiden Dingen, die sie gemeinsam hatten; das und die Habgier.
    »Mir ist schlecht«, sagte

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