Das 6. Buch des Blutes - 6
Stumpf.
»Wenn ich dich nicht mitbringe, wird er selbst kommen«, legte Cherrick dar.
Das stand außer Frage. Stumpf warf dem anderen Mann einen verzweifelten Blick zu, dann nickte er müde.
»Schon gut«, sagte er. »Hilf mir.«
Cherrick hatte keine Lust, Stumpf zu berühren. Der Mann stank nach seiner Krankheit. Er schien den Inhalt seiner Eingeweide durch die Poren auszuschwitzen, und die Haut hatte das Aroma verdorbenen Fleisches. Er ergriff die ausgestreckte Hand dennoch. Ohne Hilfe würde Stumpf die hundert Meter vom Jeep zum Dorf nie schaffen.
Weiter vorne schrie Locke.
»Beweg dich«, sagte Cherrick und zerrte Stumpf aus dem Jeep und in Richtung der bellenden Stimme. »Bringen wir es hinter uns.«
Als die beiden Männer in den Kreis der Hütten zurückkehrten, hatte sich das Bild kaum verändert.
Locke drehte sich zu Stumpf um. »Wir haben Eindringlinge«, sagte er.
»Das sehe ich«, erwiderte Stumpf ergeben.
»Sag ihnen, sie sollen verdammt noch mal von unserem Land verschwinden«, sagte Locke. »Sag ihnen, das ist unser Gebiet. Wir haben es gekauft. Ohne Einwohner.«
Stumpf nickte, mied aber Lockes wütenden Blick. Manchmal haßte er den Mann fast so sehr, wie er sich selbst haßte.
»Los doch…« sagte Locke und gab Cherrick ein Zeichen, Stumpf loszulassen. Dieser gehorchte.
Der Deutsche taumelte mit gesenktem Kopf vorwärts. Er brauchte ein paar Sekunden, um sich seine Rede zurechtzulegen, dann hob er den Kopf und sprach ein paar abgehackte Worte in schlechtem Portugiesisch. Sie wurden ebenso verständnislos aufgenommen wie Lockes Darbietung. Stumpf probierte es noch einmal. Er arrangierte sein begrenztes Vokabular um und versuchte, den Funken des Verstehens in diesen Wilden zu entzünden.
Der Junge, den Lockes Ausfälligkeiten so amüsiert hatten, sah jetzt zu diesem dritten Dämon auf. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. Der hier war bei weitem nicht so komisch wie der erste. Er war krank und abgezehrt; er roch nach Tod. Der Junge hielt sich die Nase zu, damit er die schlechte Ausdünstung des Mannes nicht einatmen mußte.
Stumpf betrachtete sein Publikum durch verklebte Augen.
Wenn sie verstanden und Unverständnis heuchelten, dann war ihre Darbietung perfekt. Da seine begrenzten Fähigkeiten nichts ausrichten konnten, wandte er sich benommen an Locke.
»Sie verstehen mich nicht«, sagte er.
»Sag es ihnen noch einmal.«
»Ich glaube nicht, daß sie Portugiesisch sprechen.«
»Sag es ihnen trotzdem.«
Cherrick spannte das Gewehr. »Wir müssen nicht mit ihnen reden«, stieß er hervor. »Sie sind auf unserem Land. Wir haben das Recht…«
»Nein«, sagte Locke. »Wir brauchen nicht zu schießen.
Nicht, wenn wir sie überzeugen können, daß sie friedlich abziehen.«
»Sie verstehen nicht einmal normalen gesunden Menschenverstand«, sagte Cherrick. »Schau sie dir doch an. Sie sind Tiere. Leben im Dreck.«
Stumpf hatte wieder einen Versuch zur Kommunikation gestartet; diesmal unterstrich er seine stockenden Worte mit erbärmlichen Gesten.
»Sag ihnen, daß wir hier arbeiten müssen«, wies Locke ihn an.
»Ich tue mein Bestes«, antwortete Stumpf behutsam.
»Wir haben Verträge.«
»Ich glaube nicht, daß sie das beeindrucken wird«, antwortete Stumpf mit verhaltenem Sarkasmus, was dem anderen Mann jedoch nicht auffiel.
»Sag ihnen einfach, sie sollen weiterziehen. Sich ein anderes Stück Land suchen, wo sie hausen können.«
Während er zusah, wie Stumpf diese Anweisungen in Worte und Zeichensprache übersetzte, überlegte Locke bereits, welche Alternativen zur Verfügung standen. Entweder akzeptierten die Indianer – die Txukahamei oder die Achual oder welcher verdammten Familie sie auch angehörten – ihre Aufforderung und zogen weiter, oder sie mußten das Edikt mit Gewalt durchsetzen. Wie Cherrick gesagt hatte, sie hatten das Recht dazu.
Sie hatten Verträge von den Landerschließungsbehörden; sie hatten Karten, auf denen die Grenzen zwischen einem Territorium und dem nächsten eingezeichnet waren; sie hatten sämtliche Sanktionen, von Unterschriften bis zu Kugeln. Aber er verspürte keinen Wunsch, Blut zu vergießen. Es gab zu viele Liberale mit blutenden Herzen und zu viele blauäugige Romantiker auf der Welt, deshalb war Völkermord nicht die bequemste Lösung. Aber das Gewehr war schon früher benützt worden, und es würde weiter benützt werden, bis jeder ungewaschene Indianer sich eine Hose angezogen hatte und keine Affen mehr aß.
Das Gewehr
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