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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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unsichtbar.«
    Seine Hand glitt wieder zu der Narbe, und weiter hinunter.
    »Und immer sauber«, fügte er hinzu. Sie seufzte, als er sie streichelte.
    »Dafür bewundern sie mich, da bin ich sicher. Glaubst du nicht auch, daß sie mich bewundern? Weil ich so sauber bin?«
    Sie erinnerte sich an das Chaos in der Krypta, die Würdelosigkeit, das Durcheinander. »Nicht immer…« sagte sie.
    Er hörte auf, sie zu streicheln. »O doch«, sagte er. »O doch.
    Ich vergieße niemals Blut. Das ist einer meiner Leitsätze.
    Niemals Blut vergießen.«
    Sie lächelte über seine Prahlerei. Jetzt würde sie ihm – obwohl er es sicher bereits wußte – von ihrem Besuch in der Kirche Allerheiligen erzählen, und von den Spuren seiner Arbeit, die sie dort gefunden hatte. »Manchmal kannst du nicht verhindern, daß Blut vergossen wird«, sagte sie, »daran gebe ich dir keine Schuld.«
    Nach diesen Worten fing er an zu zittern. »Was haben sie dir von mir erzählt? Welche Lügen?«
    »Nichts«, sagte sie, verblüfft über seine Antwort. »Was könnten sie denn wissen?«
    »Ich bin ein Profi«, sagte er, und seine Hände glitten zu ihrem Gesicht. Sie spürte wieder Entschlossenheit in ihm. Eine Ernsthaftigkeit in seinem Gewicht, wie er sich fester an sie drückte.
    »Ich dulde nicht, daß sie Lügen über mich verbreiten«, sagte er. »Ich dulde es nicht.« Er hob den Kopf von ihrer Brust und sah sie an. »Ich bringe nur die Trommel zum Schweigen«, sagte er.
    »Die Trommel?«
    »Fein säuberlich. Und abrupt.«
    Die Farben von unten tönten sein Gesicht einen Augenblick rot, im nächsten gelb, im nächsten grün; unverfälschte Farben, wie aus dem Malkasten eines Kindes.
    »Ich dulde nicht, daß sie Lügen über mich erzählen«, sagte er. »Daß sie sagen, ich würde Blut vergießen.«
    »Sie haben mir nichts erzählt«, versicherte sie ihm. Er hatte sein Küssen gänzlich aufgegeben und traf nun Anstalten, sie zu besteigen. Seine Hände hatten die zärtlichen Berührungen hinter sich.
    »Soll ich dir zeigen, wie sauber ich bin?« sagte er. »Wie leicht ich die Trommel zum Schweigen bringe?«
    Bevor sie antworten konnte, legte er ihr die Hände um den Hals. Sie hatte nicht einmal Zeit zu keuchen, geschweige denn, einen Schrei auszustoßen. Seine Daumen waren geübt; sie fanden die Luftröhre und drückten zu. Sie hörte in den Ohren, wie die Trommel ihren Rhythmus beschleunigte. »Schnell und sauber«, sagte er zu ihr, und die Farben wechselten immer noch in vorhersehbarer Abfolge. Rot, gelb, grün; rot, gelb, grün.
    Sie wußte, hier lag ein Irrtum vor; ein schreckliches Mißverständnis, das sie nicht ganz ergründen konnte. Angestrengt suchte sie nach dem Sinn des Ganzen.
    »Ich verstehe nicht«, sagte sie zu ihm, aber ihr schmerzender Kehlkopf brachte nur einen gurgelnden Laut zustande.
    »Zu spät für Entschuldigungen«, sagte er kopfschüttelnd.
    »Du bist zu mir gekommen, weißt du nicht mehr? Damit ich die Trommel verstummen lasse. Weshalb wärst du sonst gekommen?«
    Er drückte fester zu. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr Gesicht anschwellen, als würde sich das Blut stauen, um dann aus ihren Augen zu platzen.
    »Ist dir nicht klar, daß sie gekommen sind, um dich vor mir zu warnen?« Er runzelte vor Anstrengung die Stirn. »Sie sind gekommen, um dich von mir wegzulocken, und deswegen haben sie dir erzählt, ich würde Blut vergießen.«
    » Nein.« Sie preßte die Silbe mit ihrem letzten Atem heraus, aber er drückte nur noch fester, um ihr Leugnen zu unterbinden.
    Die Trommel war jetzt ohrenbetäubend laut. Obwohl Kavanagh immer noch den Mund auf- und zumachte, konnte sie nicht mehr hören, was er sagte. Es spielte kaum eine Rolle. Ihr war jetzt klar, daß er nicht der Tod war; nicht der Bote mit den blanken Knochen, auf den sie gewartet hatte. Sie hatte sich in ihrem Eifer einem gewöhnlichen Mörder ausgeliefert, einem Straßenecken-Kain. Sie wollte ihm ihre Verachtung entgegenspucken, aber ihr Bewußtsein schwand, das Zimmer, die Lichter, das Gesicht, alles pulsierte im Rhythmus der Trommel.
    Und dann hörte alles auf.
    Sie sah auf das Bett hinunter. Ihr Körper lag verrenkt da.
    Eine Hand hatte verzweifelt das Laken umklammert und umklammerte es immer noch, obwohl kein Leben mehr in ihr war.
    Ihre Zunge stand hervor. Speichel troff von den blauen Lippen.
    Aber (wie er versprochen hatte) kein Blut.
    Sie schwebte in der Luft, wobei ihre Anwesenheit nicht einmal die Spinnweben in dieser Ecke des Zimmers zu

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