Das 6. Buch des Blutes - 6
zu frühstücken, was Locke, wie er wußte, als weiteres Zeichen von Verfall gewertet hätte, schenkte er sich auch eine Tasse von Dancys Gebräu ein und ging hinaus, um sich den Morgen anzusehen.
Ihm war seltsam zumute. Dieser heraufdämmernde Tag hatte etwas an sich, was tiefes Unbehagen in ihm weckte. Er kannte die drohenden Gefahren, wenn man mit unbegründeten Ängsten spielte, und versuchte, sie zu verdrängen, aber sie waren unumstößlich.
War es nur Erschöpfung, die ihm seine zahlreichen Unpäßlichkeiten heute morgen so schmerzlich bewußtmachte?
Warum spürte er den Druck seiner stinkenden Kleidung so heftig? Wie der Stiefel am Knöchel scheuerte, wie sich die Hosen beim Gehen rhythmisch an den Innenseiten der Schenkel rieben, sogar wie die vorbeistreifende Luft um sein nacktes Gesicht und die Arme strömte. Die Welt drückte sich gegen ihn – so jedenfalls waren seine Empfindungen –, drückte, als wollte sie ihn rausjagen.
Eine große Libelle, die mit irisierenden Flügeln auf ihn zubrummte, stieß gegen seinen Arm. Der Schmerz des Zusammenpralls war so groß, daß er die Tasse fallen ließ. Sie zerschellte nicht, rollte aber von der Veranda und verschwand im Unterholz.
Wütend schlug Cherrick nach dem Insekt, und zurück blieb ein Blutfleck auf dem tätowierten Unterarm, dort, wo die Libelle gelandet war. Er wischte ihn weg. Das Blut quoll an derselben Stelle wieder hervor, voll und dunkel.
Ihm wurde klar, daß es nicht das Blut des Insekts war, sondern sein eigenes. Die Libelle hatte ihn irgendwie gestochen, obwohl er nichts gespürt hatte. Erbost besah er sich die durchbohrte Haut näher. Die Wunde war nicht schlimm, aber sie war schmerzhaft.
Drinnen konnte er Locke reden hören. Er beschrieb Tetelman lautstark die Unfähigkeit seiner Partner.
»Stumpf ist für diese Arbeit nicht geeignet«, sagte er gerade.
»Und Cherrick…«
»Was ist mit mir?« Cherrick trat ins schäbige Innere und wischte sich frisches Blut vom Unterarm.
Locke machte sich nicht einmal die Mühe aufzusehen. »Du bist paranoid«, sagte er unverblümt.
»Paranoid und unzuverlässig.«
Cherrick war nicht in der Stimmung, sich Lockes Anschuldigungen anzuhören. »Nur weil ich ein Indianerbalg getötet habe«, sagte er. Je mehr Blut er von seinem zerstochenen Arm wischte, desto mehr schmerzte die Stelle. »Du hast einfach nicht den Mumm gehabt, es selbst zu machen.«
Locke machte sich immer noch nicht die Mühe, das Studium der Karte abzubrechen und aufzusehen. Cherrick ging zum Tisch.
»Hörst du mir zu?« wollte er wissen und verlieh der Frage Nachdruck, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug. Beim Aufprall platzte seine Hand einfach auf. Blut spritzte in jede Richtung und besudelte die Karte.
Cherrick heulte auf und schnellte vom Tisch zurück, während Blut aus einem klaffenden Riß in der Seite der Hand strömte. Der Knochen war zu sehen. Durch das Getöse des Schmerzes in seinem Kopf hindurch konnte er eine leise Stimme hören. Die Worte waren unverständlich, aber er wußte, von wem sie stammten.
»Ich will nichts hören!« sagte er und schüttelte den Kopf wie ein Hund mit einem Floh im Ohr. Er taumelte rückwärts gegen die Wand, aber der geringste Kontakt brachte neue Schmerzen.
»Ich will nichts hören, verdammt!«
»Wovon, zum Teufel, spricht er?« Dancy, den die Schreie geweckt hatten, war unter der Tür erschienen. Er hatte noch die Gesammelten Werke von Shelley unter dem Arm, ohne die er laut Tetelman nicht schlafen konnte.
Locke gab die Frage an Cherrick weiter, der mit weit aufgerissenen Augen in einer Ecke des Zimmers stand und sich bemühte, die verletzte Hand abzudrücken, woraufhin ihm das Blut zwischen den Fingern hervorquoll.
»Er hat zu mir gesprochen«, antwortete Cherrick. »Der alte Mann.«
»Welcher alte Mann?« fragte Tetelman.
»Er meint den im Dorf«, sagte Locke. Dann, zu Cherrick:
»Meinst du den?«
»Er will uns rausjagen. Vertriebene. Wie sie. Wie sie! «
Cherricks Panik stieg schnell über jegliche Kontrolle, besonders seine eigene.
»Der Mann hat einen Hitzschlag«, sagte Dancy, der ewige Diagnostiker. Aber Locke wußte es besser.
»Deine Hand muß verbunden werden…« sagte er und ging langsam auf Cherrick zu.
»Ich habe ihn gehört«, murmelte Cherrick.
»Ich glaube dir. Aber jetzt beruhige dich erst einmal. Wir können darüber reden.«
»Nein«, antwortete der andere Mann. »Es drängt uns hinaus.
Was wir berühren. Alles, was wir berühren.«
Er sah
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