Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
deshalb wollte er sich nicht wieder hinlegen und schlafen. Noch dazu, wo der alte Mann nur darauf wartete, geträumt zu werden.
    Nicht nur die erhobenen Handflächen, auf denen das Blut glänzte, beunruhigten Cherrick. Die Worte, die im Traum aus dem zahnlosen Mund gekommen waren, hatten den kalten Schweiß hervorgetrieben, in den sein Körper jetzt gebadet war.
    Was waren es für Worte gewesen? Er konnte sich nicht mehr erinnern, wollte es aber, wollte seine Empfindungen ins Wachsein herüberzerren, wo sie zerpflückt und als lächerlich abgetan werden konnten. Aber sie kamen nicht. Er lag auf dem zerwühlten Bett, und die Dunkelheit hüllte ihn so fest ein, daß er sich nicht bewegen konnte, und plötzlich waren die blutigen Hände da, direkt vor ihm, in der Schwärze schwebend. Kein Gesicht, kein Himmel, kein Stamm. Nur die Hände.
    »Ein Traum«, sagte Cherrick sich, aber er wußte es besser.
    Und dann die Stimme. Sein Wunsch wurde erfüllt, die Worte, die er geträumt, wurden ausgesprochen. Nur wenige ergaben einen Sinn. Cherrick lag da wie ein neugeborenes Baby, das zuhört, wie seine Eltern reden, die Bedeutung des Wortwechsels aber nicht begreifen kann. Er war unwissend, nicht? Er schmeckte zum ersten Mal seit seiner Kindheit den sauren Geschmack seiner Dummheit. Die Stimme erfüllte ihn mit Angst vor Zweideutigkeiten, über die er rücksichtslos hinweggegangen war, vor Geflüstertem, das sein brüllendes Leben unhörbar gemacht hatte. Er rang nach Verständnis und war nicht völlig erfolglos. Der Mann sprach von der Welt, und von Vertreibung aus der Welt, davon, daß man stets von dem gebrochen wird, was man zu besitzen trachtet. Cherrick wehrte sich, er wünschte, er könnte der Stimme Einhalt gebieten und um eine Erklärung bitten. Aber sie wurde bereits leiser, das wilde Kreischen von Papageien in den Bäumen und fröhliche Stimmen, die mit einem Mal überall laut wurden, übertönten sie. Cherrick konnte durch das Gitter seines Moskitonetzes sehen, wie der Himmel zwischen den Zweigen hervorblickte.
    Er richtete sich auf. Hände und Stimmen waren fort, und mit ihnen alles bis auf einen irritierenden Nachhall dessen, was er beinahe verstanden hätte. Er hatte das einfache Leintuch, mit dem er sich zudeckte, im Schlaf abgeworfen; jetzt betrachtete er seinen Körper voll Mißfallen. Rücken, Pobacken und die Unterseiten der Schenkel waren wund. Zuviel Schwitzen auf groben Laken, dachte er. Er dachte nicht zum ersten Mal in letzter Zeit an ein kleines Haus in Bristol, das einmal sein Zuhause gewesen war.
    Vogelgezwitscher machte sich in seinem Kopf breit. Er schob sich an den Bettrand und hob das Moskitonetz hoch. Der derbe Stoff des Netzes schien seine Handflächen zu versengen, als er ihn berührte. Er ließ los und fluchte in sich hinein. Auch heute litt seine Haut wieder unter dieser Empfindlichkeit, die ihn quälte, seit sie in den Posten gekommen waren. Sogar seine Fußsohlen, die das Körpergewicht in den Boden preßte, schienen mit jeder Erhebung und jedem Splitter zu leiden. Er wollte weg von hier, und zwar unbedingt.
    Ein warmes Kitzeln auf dem Handgelenk erweckte seine Aufmerksamkeit, und er stellte erschrocken fest, daß Blut von der Hand über den Arm rann. Er hatte eine Schnittwunde im Daumenballen; das Moskitonetz hatte offenbar die Haut aufgerissen. Er blutete, aber nicht stark. Er saugte an dem Schnitt und spürte wieder diese seltsame Empfindlichkeit gegen Berührungen, die ausschließlich das Trinken, und zwar in großen Mengen, betäuben konnte. Er spie das Blut aus und zog sich an.
    Die Kleidungsstücke, die er anlegte, waren eine Geißel für seinen Rücken. Das schweißverkrustete Hemd scheuerte an Schultern und Hals. Er schien zu spüren, wie jede Faser über seine Nervenenden streifte. So wie ihn das Hemd kratzte, hätte es aus Sackleinen sein können.
    Er konnte hören, wie sich Locke nebenan zu schaffen machte. Cherrick zog sich zimperlich vollends an und ging zu ihm hinüber. Locke saß am Tisch beim Fenster. Er grübelte über einer von Tetelmans Karten und trank eine Tasse des bitteren Kaffees, den Dancy mit solchem Vergnügen braute und den er mit einer Winzigkeit Kondensmilch trank.
    Die beiden Männer hatten einander wenig zu sagen. Seit dem Zwischenfall im Dorf heuchelte keiner mehr Respekt oder Freundschaft. Locke ließ unverhohlene Verachtung für seinen Partner erkennen. Nur der Vertrag, den sie und Stumpf unterschrieben hatten, hielt sie noch zusammen. Anstatt mit Whisky

Weitere Kostenlose Bücher