Das 6. Buch des Blutes - 6
das Gesicht. »Bezahlt?« sagte er.
Der Affe zu seinen Füßen kreischte; er war durch diese Bemerkung offenbar ebenso amüsiert wie sein Besitzer. »Nein.
Ihr habt nur bezahlt, damit jemand ein Auge zudrückt, damit ihr es euch gewaltsam nehmen könnt. Ihr habt für das Recht bezahlt, die Indianer auf jede erdenkliche Art fertigzumachen.
Das haben Sie mit Ihren Dollars gekauft, Mr. Locke. Die Regierung dieses Landes zählt die Monate, bis jeder Stamm dieses Subkontinents von Ihnen und Ihresgleichen ausgerottet worden ist. Es hat keinen Zweck, die aufgebrachten Unschuldigen zu spielen. Ich bin schon zu lange hier…«
Cherrick spie auf den gestampften Boden. Tetelmans Worte hatten sein Blut in Wallung gebracht. »Und warum sind Sie
hergekommen, wenn Sie so verdammt schlau sind?« fragte er den Händler.
»Aus demselben Grund wie Sie«, antwortete Tetelman schlicht und sah zu den Bäumen jenseits des an den Laden angrenzenden Grundstücks hinaus. Ihre Silhouetten vor dem Himmel zitterten; Wind oder Nachtvögel.
»Und was wäre das für ein Grund?« fragte Cherrick, der seine Feindseligkeit kaum im Zaum halten konnte.
»Habgier«, sagte Tetelman sanft, ohne von den Bäumen wegzusehen.
Etwas tapste über das niedere Holzdach. Der Affe zu Tetelmans Füßen lauschte mit schiefgelegtem Kopf.
»Ich habe gedacht, ich könnte hier draußen ein Vermögen machen, genau wie Sie. Ich gab mir zwei Jahre. Höchstens drei. Und das war vor fast zwei Jahrzehnten.« Er runzelte die Stirn. Welche Gedanken ihm auch durch den Kopf gehen mochten, sie waren bitter. »Früher oder später frißt dich der Dschungel auf und spuckt dich dann wieder aus.«
»Mich nicht«, sagte Locke.
Tetelman sah den Mann an. Seine Augen waren feucht. »O
doch«, sagte er höflich. »Es liegt Vernichtung in der Luft, Mr.
Locke. Ich kann sie riechen.« Danach sah er wieder zum Fenster hinaus.
Was auch immer auf dem Dach war, jetzt hatte es Gesellschaft bekommen.
»Sie kommen doch nicht hierher, oder?« fragte Cherrick.
»Sie werden uns doch nicht folgen?«
Die beinahe geflüsterte Frage flehte nach einer verneinenden Antwort. Sosehr er es versuchte, Cherrick konnte die Bilder des gestrigen Tages nicht verdrängen. Es war nicht der Leichnam des Jungen, der ihn so verfolgte; mit der Zeit konnte er lernen, ihn zu vergessen. Aber den Ältesten – mit diesem sich verändernden, sonnenbeschienenen Gesicht – und seine erhobenen Handflächen, als wollte er irgendwelche Stigmata zeigen, den konnte er nicht vergessen.
»Seien Sie nicht albern«, sagte Tetelman mit einer Spur Verachtung. »Manchmal kommen ein oder zwei mit einem Papagei hierher, den sie verkaufen wollen, oder mit ein paar Töpfen, aber ich habe nie erlebt, daß sie in größerer Zahl herkommen. Es gefällt ihnen nicht. Für sie ist dies Zivilisation, und die schüchtert sie ein. Außerdem würden sie meinen Gästen nichts tun. Sie brauchen mich.«
»Sie?« fragte Locke nach. Wer konnte dieses Wrack von einem Menschen brauchen?
»Sie benutzen unsere Medizin. Dancy liefert sie ihnen. Und ab und zu Decken. Wie ich schon sagte, sie sind nicht so dumm.«
Nebenan hatte Stumpf angefangen zu heulen. Man konnte Dancys beruhigende Stimme hören, als er versuchte, ihm die Panik auszureden. Er hatte offensichtlich keinen Erfolg. »Ihr Freund ist in einem schlechten Zustand«, sagte Tetelman.
»Kein Freund«, antwortete Cherrick.
»Sie verfault«, murmelte Tetelman halb zu sich selbst.
»Was?«
»Die Seele. « Auf Tetelmans whiskyfeuchten Lippen wirkte das Wort vollkommen fehl am Platze. »Sehen Sie, sie ist wie Obst. Sie verfault.«
Irgendwie verliehen Stumpfs Schreie dieser Beobachtung zusätzlichen Nachdruck. Es war nicht die Stimme eines gesunden Lebewesens; Verwesung klang darin mit. Cherrick sagte, mehr um seine Aufmerksamkeit vom Toben des Deutschen abzuwenden als aus echtem Interesse: »Was geben die Ihnen für die Medizin und die Decken? Frauen?«
Diese Möglichkeit erheiterte Tetelman eindeutig. Er lachte, daß sein Goldzahn funkelte.
»Ich kann Frauen nicht brauchen«, sagte er. »Ich habe zu viele Jahre lang die Syph gehabt.«
Er schnalzte mit den Fingern, und der Affe kletterte wieder auf seinen Schoß.
»Die Seele«, sagte er, »ist nicht das einzige, was verfault.«
»Nun, was bekommen Sie dann von ihnen?« sagte Locke.
»Für Ihre Vorräte?«
»Kunstgegenstände«, antwortete Tetelman. »Schüsseln, Krüge, Matten. Die Amerikaner reißen sie mir aus der Hand und
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