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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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sich umdrehte und feststellte, daß Ballard ihn angrinste. »Wer hat Sie geschickt?«
    »Niemand hat mich geschickt«, antwortete Suckling.
    »Es war schlau, das Oberklatschmaul zu schicken. Ich wäre beinahe drauf reingefallen. Sie sind sehr glaubwürdig.«
    Suckling hatte nicht genügend Fett im Gesicht, um das Zucken der Wange verbergen zu können.
    »Was haben sie für einen Verdacht gegen mich? Glauben sie, ich mache gemeinsame Sache mit Mironenko, ist es das?
    Nein, ich glaube, so dumm sind sie nicht.«
    Suckling schüttelte den Kopf wie ein Arzt angesichts einer unheilbaren Krankheit. »Machen Sie sich gerne Feinde?«
    fragte er.
    »Berufsrisiko. Ich würde mir deshalb keine schlaflosen Nächte machen. Ich tue es ganz sicher nicht.«
    »Es liegen Veränderungen in der Luft«, sagte Suckling. »Ich würde darauf achten, daß ich meine Antworten parat habe.«
    »Scheiß auf die Antworten«, sagte Ballard liebenswürdig.
    »Ich finde, es wird Zeit, daß ich mir die richtigen Fragen überlege.«
    Daß sie Suckling schickten, um ihn auszuhorchen, roch nach Verzweiflung. Sie wollten Insiderinformationen, aber worüber?
    Konnten sie ernsthaft denken, daß er sich mit Mironenko eingelassen hatte oder, schlimmer, mit dem KGB selbst? Er ließ seine Wut abklingen; sie wirbelte zuviel Schlamm auf, und er brauchte klare Gewässer, wenn er einen Weg aus diesem Chaos heraus finden wollte. In einer Beziehung hatte Suckling vollkommen recht: Er hatte Feinde, und da Cripps ausgeschaltet war, war er verwundbar. Unter diesen Umständen gab es zwei Vorgehensweisen. Er konnte nach London zurückkehren und dort untertauchen, oder er konnte in Berlin bleiben und herausfinden, was für ein Manöver sie als nächstes versuchen würden. Er entschied sich für letzteres. Der Spaß des Versteckspielens nutzte sich schnell ab.
    Als er nach Norden in die Leibnizstraße einbog, sah er das Spiegelbild eines Mannes im grauen Mantel in einem Schaufenster. Ein flüchtiger Blick, mehr nicht, aber er hatte das Gefühl, als würde er das Gesicht des Burschen kennen. Er überlegte sich, ob sie ihm einen Wachhund angehängt hatten.
    Er drehte sich um, sah dem Mann in die Augen und wandte sich nicht mehr ab. Der Verdächtige schien verlegen und drehte sich weg. Möglicherweise Schauspielerei, möglicherweise nicht. Spielte kaum eine Rolle, dachte Ballard. Sollten sie ihn beobachten, solange sie wollten. Er war unschuldig. Wenn es diesen Zustand diesseits des Wahnsinns überhaupt gab.
    Ein seltsames Glücksgefühl war über Sergej Mironenko gekommen, ein Glücksgefühl ohne Sinn und Verstand, das sein Herz zum Bersten erfüllte.
    Gestern hatte die Situation noch unerträglich gewirkt. Die Schmerzen in Händen und Kopf und Wirbelsäule waren immer schlimmer geworden, danach war ein Juckreiz dazugekommen, der so schlimm war, daß er sich die Nägel bis zu den Fingerkuppen schneiden mußte, um sich nicht selbst ernsten Schaden zuzufügen. Sein Körper, so schloß er, revoltierte gegen ihn. Diesen Gedanken hatte er versucht, Ballard zu erklären: daß er innerlich gespalten war und fürchtete, er würde bald entzweigerissen werden. Aber heute war diese Angst dahin.
    Nicht jedoch die Schmerzen. Sie waren, wenn das überhaupt ging, noch schlimmer als gestern. Seine Sehnen und Knorpel schmerzten, als wären sie über Gebühr belastet worden. An sämtlichen Gelenken hatte er Blutergüsse, wo das Blut unter der Haut aus seinen Bahnen gebrochen war. Aber das Gefühl bevorstehender Rebellion war verschwunden und einem traumartigen Frieden gewichen. Und in seinem Herzen dieses Glücksgefühl.
    Wenn er versuchte, über jüngste Ereignisse nachzudenken, um sich darüber klarzuwerden, was diese Verwandlung ausgelöst hatte, spielte ihm seine Erinnerung Streiche. Er war zu einem Treffen mit Ballards Vorgesetztem gerufen worden, daran erinnerte er sich. Aber nicht, ob er zu dem Treffen gegangen war. Die Nacht war wie ausgelöscht.
    Ballard wird wissen, wie die Dinge stehen, überlegte er. Er hatte den Engländer von Anfang an gemocht und ihm vertraut, weil er gespürt hatte, daß sie einander trotz vieler Unterschiede sehr ähnlich waren. Wenn er sich von seinen Instinkten leiten ließ, würde er Ballard finden, da war er ganz sicher. Der Engländer würde zweifellos überrascht sein, ihn zu sehen, anfangs vielleicht sogar wütend. Aber wenn er Ballard von seinem neuerlangten Glück erzählte, würde dieser ihm sein Eindringen doch sicherlich verzeihen?
    Ballard aß

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