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Das achte Tor

Das achte Tor

Titel: Das achte Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bottero
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Dschellaba mehr, sondern Jeans und einen blauen Wollpulli, der das Azurblau seiner Augen betonte. Sein heiteres Gesicht hatte unzählig viele Falten, und die sehr kurz geschnittenen Haare waren fast vollkommen weiß. Dennoch hätte sie nicht sagen können, wie alt er war. Alt, das schon, aber war er sechzig oder achtzig? Und diese Art, unverständliche Sätze zu formulieren und immerzu Andeutungen zu machen – waren das nicht Zeichen begin-nender Senilität?
    »Manchmal wäre ich gerne senil«, fuhr der Alte fort.
    »Aufhören, die Leute zu führen. Mich hinsetzen und vergessen. Doch das ist nicht mein Weg.«
    Blitzartig begriff Shaé: Dieser Typ kann meine Gedanken lesen! Wie war es sonst zu erklären, dass er zum zweiten Mal auf eine Frage antwortete, die sie nicht laut gestellt hatte?
    Sie beruhigte sich sofort wieder. Telepathie gab es nicht. Es handelte sich hier um einen einfachen Zufall.
    Er steuerte den Kombi mit ruhiger Hand, fädelte sich problemlos in den Verkehr ein und rollte flott über den Boulevard Padovani in Richtung Osten. Für eine Weile herrschte Schweigen im Wagen. Shaé spürte, wie ein wohliges Gefühl sie durchflutete. Sie war entspannt.
    Friedlich.
    Sie, die sich nur mühsam mit jemandem anfreundete, 71

    und auch das nur kurzfristig, hatte plötzlich Lust zu reden, etwas zu erfahren.
    »Wie heißen Sie? Ich habe Sie noch nie in unserer Gegend gesehen.«
    »Mein Name ist Rafi Hâdy Mamnoun Abdul-Salâm, aber die meisten Leute, die mich kennen, nennen mich Rafi. Ich habe nie verstanden, weshalb.«
    Die arglos formulierte Bemerkung entlockte Shaé ein kurzes Lachen.
    »Und was machen Sie hier, Monsieur Rafi?«
    »Rafi genügt, sonst könnte man sich die Abkürzung ganz sparen.«
    »Okay. Ich heiße …«
    »Shaé.«
    Shaés gute Laune war wie weggepustet.
    »Woher wissen Sie das?«
    Rafi lächelte rätselhaft. Shaé warf einen Blick aus dem Fenster und verspürte einen unangenehmen Stich in der Magengegend. Sie fuhren jetzt nicht mehr auf dem Boulevard Padovani, sondern unter der Autobahn hindurch ins Industriegebiet Anjoly.
    »Wir sind falsch!«, schrie sie.
    Rafi würdigte sie keines Blicks.
    Das unangenehme Gefühl in Shaés Bauch machte sich selbständig, gegen die Vernunft und gegen alle Regeln.
    Das Etwas rührte sich. Es war noch nicht wach, aber es schlief auch nicht mehr.
    Shaé legte die Hand an den Türgriff. Obwohl das He-rausspringen während der Fahrt gefährlich war … Rafi fuhr langsamer, setzte den Blinker und bog auf den ver-lassenen Parkplatz einer leer stehenden Lagerhalle.

    72

    »Was haben Sie vor?«, stammelte Shaé und versuchte Ruhe zu bewahren. »Ich …«
    Rafi hielt an und blickte sie mit seinen blauen Augen an. Anders als erwartet, nahm Shaé in diesem Blick ein ruhiges Feuer wahr und nicht den Schein des Irrsinns, den sie befürchtet hatte.
    »Du bist da«, verkündete er mit sanfter Stimme.
    »Aber …«
    »Steig aus!«
    Die Stimme klang immer noch sanft, duldete aber keinen Widerspruch.
    Shaé stieg aus. Eine eisige Bö brachte sie ins Schlin-gern. Rafi beugte sich herüber, um die Wagentür zu schließen, und legte, ohne Shaé eines Blickes zu würdi-gen, den Gang ein. Der Kombi fuhr langsam los und verschwand.
    Shaé schob eine lange schwarze Strähne beiseite, die ihr der Mistral ins Gesicht geweht hatte. Sie hatte das Gefühl, in einem Traum zu sein. Alles war so fremd.
    Rafi. Dieser Parkplatz. Die unnatürliche Stille, die hier auf einmal herrschte.
    Ein wildes Bellen holte sie in die Realität zurück. Sie drehte sich um.
    Vier Gestalten kamen auf sie zu. Einer von ihnen hielt einen riesigen Hund mit schäumenden Lefzen an der Leine.
    ›Ein Rottweiler‹, dachte sie, ›und ohne Maulkorb.‹
    Dann erkannte sie das vernarbte Gesicht seines Besit-zers. Ein Angstschauer lief ihr über den Rücken.
    »Sieh mal einer an«, grinste der Neuankömmling, »so sieht man sich also wieder.«

    73

11
    athan wachte auf, als sich das Flugzeug im LandeN anflug auf Paris befand. Eine junge, freundliche Stewardess beugte sich zu ihm herab.
    »Man kann nicht gerade sagen, dass Sie ein unruhiger Passagier sind. Ich habe selten jemanden gesehen, der vom Abflug bis zur Ankunft durchschläft.«
    »Ich musste Schlaf nachholen«, erklärte Nathan und strich seine zerknitterten Kleider glatt.
    »Das dachte ich mir. Der Servierwagen ist gerade durch, aber ich kann Ihnen einen Kaffee und ein Croissant bringen, wenn Sie möchten.«
    Nathan lächelte sie an.
    »Gerne. Wie spät

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