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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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»Ich
verstehe.«
    Mit sorgenvoller Miene berührte der Schlafwandler
Moon am Arm.
    »Mir wird nichts geschehen. Warte draußen auf
mich.«
    Owsley holte einen Schlüsselbund aus seiner
Jackentasche und schloss die Zellentür auf. »Ich kann Ihnen fünfzehn Minuten
zugestehen, nicht länger.«
    Forsch betrat Moon die Zelle, und die Tür schlug
hinter ihm zu.
    Owsley wandte sich an die anderen. »Meine Herren,
kommen Sie mit mir.«
    Dankbar folgte Merryweather ihm zurück durch den
Korridor und nach oben, hinaus in die Sicherheit des Hofes. Gar nicht glücklich
trottete der Schlafwandler hinterher.
    Barabbas lag wieder zuhinterst in einer
Ecke der Zelle – feist, nackt bis zum Gürtel, das fleischige Gesicht
umrahmt von altrömisch gekringelten Löckchen. Sein Bauch war bedeckt mit
kunstvollen Tätowierungen, die verschlungenen Muster aufgebläht und unkenntlich
gemacht von den gewaltigen weißen Fettwülsten. Seit seinem Einzug in den Kerker
hatte er sich einen ungepflegten Bart wachsen lassen, und so durchfuhr Moon bei
seinem Anblick ein blitzartiger, unangenehmer Gedanke an Mina.
    Barabbas saugte begierig an der Zigarette.
»Edward«, krächzte er, »du vergibst mir doch, dass ich nicht aufstehe. Ich
würde dir ja gern einen Stuhl anbieten, aber wie du siehst« –, eine träge
Armbewegung rundum –, »bin ich gegenwärtig ein wenig in Verlegenheit.« Er
knetete eine mächtige Rolle Bauchfett zwischen Zeigefinger und Daumen, um sie
nach einer Weile beiläufig loszulassen und mit glasigem Blick gebannt
zuzusehen, wie sie unter die Fleischberge zurückschlüpfte, die sich um seinen
Leib wälzten.
    »Wie ich sehe, haben sie dir das Haar gelassen«,
bemerkte Moon sanftmütig.
    »Owsley hat das für mich in die Wege geleitet.
Eine kleine Vergünstigung. Eine von vielen. Er bringt mir auch diesen hübschen
Tand, diese kleinen Prisen Schönheit, und legt sie mir als Tribut zu Füßen. Wie
Opfergaben für irgendeinen Gott der Wilden.«
    »Er scheint hier alles im Griff zu haben.«
    »Er hat eine überzeugende Art, ja. Außerdem ist er
unanständig reich. An einem Ort wie diesem verschaffen solche Dinge Einfluss.«
Ein quälender Hustenanfall begleitete den Rest seiner Zigarette. »Übrigens habe
ich von Clapham gehört.«
    Der Detektiv zuckte zusammen.
    »Warum bist du gekommen?«, fragte der Dickwanst,
sichtlich zufrieden mit Moons Reaktion.
    »Ich brauche deinen Rat.«
    »Ein Fall?«
    »Natürlich.«
    »Du hast mich noch nie zuvor konsultiert.«
    Moon wandte die Augen ab. »Aber diese Sache
jetzt … macht mir Kopfzerbrechen.«
    Barabbas drückte die Zigarette aus und ließ den
Stummel achtlos zu Boden fallen. »Gib mir noch eine«, sagte er, »und dann kannst
du mir alles erzählen.«
    Moon griff in seine Westentasche, zog sein
Zigarettenetui hervor und reichte es dem Verurteilten. »Hier«, sagte er,
»behalte es.«
    Barabbas packte es gierig. »Wieder eine Prise
Schönheit«, stellte er fest, »eine Zierde für meine Sammlung.« Er starrte das
Etui an und seufzte. »Du wirst es selbstverständlich zurücknehmen, wenn ich
nicht mehr bin.«
    »Selbstverständlich.«
    Mit ungeschickten Fingern zwängte Barabbas eine
Zigarette aus dem Etui. »Feuer«, flüsterte er.
    Moon riss ein Streichholz an, und wieder erhellte
das Aufflackern der Flamme kurzzeitig die Zelle, was Barabbas’ monströse
Gestalt eine Sekunde lang ins Licht zerrte.
    Der Gefangene lachte zufrieden gackernd und füllte
seine Lunge ausgiebig mit Rauch. »Und nun rede, mein lieber Freund.«
    »Wir beginnen mit Cyril Honeyman«, sagte Moon. »Er
war ein feister, schwerfälliger Mensch, der andauernd schwitzte und dessen
Hängebacken beim Gehen bebten und flatterten …«
    Der Magier und Detektiv berichtete
Barabbas alles über die Morde und seine eigenen Ermittlungen, beginnend mit
Merryweathers Einladung zur Mitarbeit und schließend mit dem zerschmetterten
Körper des Fliegenmenschen. Als er geendet hatte, seufzte Barabbas. Ein Lächeln
wollte sich aus seinen Mundwinkeln stehlen, wurde jedoch umgehend
zurückgescheucht und verschwand so rasch, wie es sich angedeutet hatte.
    »Nun?«
    »Du sagst, er kannte dich?«
    »Sogar beim Namen«, bestätigte Moon steif.
    Barabbas unterdrückte ein Rülpsen – mit
teilweisem Erfolg. Er schielte boshaft hoch zu seinem Besucher und entblößte
zwei Reihen gelber Pferdezähne, umkränzt von wildem Bartwuchs. »Du läufst
Gefahr, dich heillos in diese fixe Idee zu verrennen. Ich habe dich noch nie so
erregt

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