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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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und als die Flammen sich ausbreiten wollten und gefräßig an den
angrenzenden Gebäuden zu lecken begannen, waren die Männer gezwungen, ihre
Aufmerksamkeit anderen Gefahrenherden zuzuwenden.
    Ein Mann stand neben Moon in der Menge. »Schade
drum, nicht wahr?« Er verzog den Mund zu einem Grinsen, welches mehr Lücken als
Zähne sehen ließ. »Hab das Programm dort einmal gesehen. Bin fast eingeschlafen
vor Langeweile, ehrlich.«
    »Was hat denn den Brand entfacht?«
    »Warum fragen Sie? Sind Sie aus der
Nachbarschaft?«
    Mit einemmal stieß Moon ihn zur Seite und rannte
auf die Ruine zu, immer wieder aufgehalten von Wogen glühender Hitze,
stechenden Rauch in der Lunge und halb blind vom Wasser in den triefenden
Augen.
    Schließlich taumelte er hilflos zurück und schrie:
»Mrs Grossmith! Speight!«
    Doch plötzlich vernahm er selbst über das Tosen
und Knistern der Flammen hinweg ein wohlbekanntes Geräusch – ein Geräusch,
das ihm so verhasst war, dass er in diesem Moment alles gegeben hätte, um es
gerade jetzt nicht zu hören: ein diskretes, trockenes, nervöses Hüsteln.
    »Mister Moon?«
    Er fuhr herum.
    »Einen guten Abend wünsche ich«, sagte Skimpole.
    »Was haben Sie nur getan!«, stieß der Detektiv
wütend hervor.
    »Drastische Maßnahmen, ich habe Sie gewarnt.«
Flammen spiegelten sich in den Gläsern seines Kneifers, was seinen Augen einen
teuflischen Ausdruck verlieh. Moon stürzte sich auf den Albino, doch dieser
sprang gewandt zur Seite. »Ihre Unbeherrschtheit gereicht Ihnen nicht zur
Ehre«, tadelte er Moon. »Ihre Freunde sind beide wohlauf. Man hat sie in
Sicherheit gebracht, bevor Feuer gelegt wurde. Der Affe jedoch weigerte sich
leider mitzukommen. Ich fürchte, er ist mittlerweile gut durchgebraten.«
    »Sie geben es also zu«, stieß Moon zornentbrannt
hervor, »dass dies hier Ihr Werk ist?«
    »Ich sagte Ihnen doch, wir sind völlig
verzweifelt. Von Rechts wegen sollten Sie sich geschmeichelt fühlen.«
    Moon hatte es die Rede verschlagen; er erstickte
fast an seiner Wut. »Sie sind zu weit gegangen«, knirschte er schließlich.
    Mit einem kurzen Lächeln sagte Skimpole: »Mit
dieser Reaktion war zu rechnen. Also habe ich Ihnen dies hier mitgebracht.« Er
holte einen dicken Ordner aus seiner Aktentasche. »Werfen Sie einen Blick
hinein.«
    Moon riss dem Albino die Akte aus der Hand und
blätterte sie durch. Als ihm ihre ganze Bedeutung bewusst wurde, fehlten selbst
ihm vorübergehend die Worte. »Wie lange haben Sie das alles schon?«, fragte er
dann.
    »Schon seit Jahren führen wir ein Dossier über
Sie«, antwortete Skimpole kühl. »Natürlich hoffte ich, es nie benutzen zu
müssen – aber Sie können nicht behaupten, dass wir nicht artig gebeten
haben.«
    »Sie würden das hier doch nicht benutzen!«
    »Es könnte schon sein. Das Puggsley-Material ist
jedenfalls darin enthalten und einige andere Dinge … Allein die
Veröffentlichung meiner Aufzeichnungen über unseren gemeinsamen Freund in
Newgate würde schon Ihren Ruin bedeuten und Schimpf und Schande über Sie
bringen.«
    Moon fluchte, laut und lange. Doch dies ist nicht
der Ort, um eine so plastische Ausdrucksweise wörtlich wiederzugeben.
    »Und so frage ich Sie ein letztes Mal«, sagte Skimpole,
»werden Sie uns helfen?«
    Das Feuer hatte seinen Höhepunkt überschritten und
schoss hungrige Flammenzungen hoch in seiner unbändigen Gier, auch noch den
letzten brennbaren Rest zu verschlingen. Moon geriet unter dem Feuersturm ins
Taumeln und schlug wild mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Er war benommen und einer Ohnmacht nahe.
    »Mister Moon?« Der Albino ließ nicht locker.
»Werden Sie uns helfen?«
    Der Detektiv nickte kraftlos.
    Skimpole lächelte. »Sehr gut«, bemerkte er forsch.
»Wir bleiben in Verbindung.« Drei Schritte, und er war in der Menge
verschwunden.
    Um Atem ringend, während das Theater des
Unglaublichen vor seinen Augen den Tod erlitt, versuchte Moon, sich an die
Verfolgung seines Peinigers zu machen, nur um zu straucheln und zu Boden zu
stürzen. Starke Arme halfen ihm auf, und als er schwankend auf die Füße kam,
blickte er ins Gesicht des Schlafwandlers.
    »Wir haben verloren«, murmelte er.
    Mit ernster Miene betrachtete der Riese die Reste
seines Zuhauses, und – ganz ungewöhnlich für ihn – ein paar Tränen
rannen ihm über die Wangen. Aus dem Gewühl hinter ihm tauchte Merryweather
zusammen mit Mrs Grossmith und Speight auf.
    Moon packte den Schlafwandler am Arm.

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