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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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gesehen. Du solltest dich beruhigen. Unternimm etwas zu deiner
Entspannung.« Ein schleimiges Husten. Ein Grinsen. »Ach, wie geht es übrigens
Mrs Puggsley?«
    »Du bist doch wohl der Letzte, der mir eine
moralische Standpauke halten dürfte!«
    »Denk daran, was ich dir gesagt habe«, mahnte
Barabbas in vertraulichem Tonfall. »Ich stehe nunmehr über jeglicher Moral,
jenseits von Gut und Böse!« Seine rauhe, honigtriefende Stimme wanderte
unablässig auf und ab entlang der seidenweichen Modulationen des routinierten
Lügners.
    »Der Fall«, unterbrach ihn der Detektiv.
    »Weißt du, ich glaube nicht, dass diese elenden
Morde das wahre Rätsel sind.«
    »Nein?«
    »Ich glaube, sie sind ein Symptom. Da draußen
existiert eine zersetzende Macht, Edward. Es gibt eine Verschwörung gegen die
Stadt, und diese Morde sind nur die Spitze des Eisberges.«
    »Was weißt du darüber?«
    Barabbas bewegte sich langsam voran, wobei sich
seine unförmige Gestalt über den Boden schob wie eine riesenhafte Schnecke.
»Lass mich hinaus, Edward! Hilf mir zu fliehen, und gemeinsam werden wir die
Wahrheit herausfinden!«
    Moon machte einen erschrockenen Schritt zurück und
krachte gegen die Eisenstäbe des Gitters, worauf Owsley hinter ihm aus den
Tiefen der Dunkelheit auftauchte.
    »Die Zeit ist um«, sagte er und holte mit amtlich
wirkendem Schwung den Schlüsselbund aus der Tasche.
    »Edward!« Barabbas stieß einen Klagelaut aus und
hob flehend die Hände. »Edward!«
    Die Tür wurde aufgeschlossen, und Moon trat rasch
hinaus auf den Korridor.
    »Ihre Freunde warten schon auf Sie«, sagte Owsley.
    Barabbas presste das Gesicht zwischen die
Gitterstäbe und starrte hinaus in die Dunkelheit. »Edward?«
    Moon drehte sich um.
    »Wirst du wiederkommen?«
    »Vielleicht.«
    »Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig
weiterhelfen.«
    Moon war auf der Hut. »Möglicherweise.«
    »Jegliche Farbe ist aus meinem Leben gewichen!
Bring mir nächstes Mal Scharlachrot! Bring mir Violett und Zinnoberrot und
Gold!«
    »Ich komme wieder«, beschwichtigte ihn Moon.
    Barabbas grinste triumphierend. »Dann brauchst du
mich also immer noch!«, zischte er. »Selbst jetzt noch!« In seiner übermäßigen
Erregung erlitt er einen heftigen Hustenanfall. »Edward«, sagte er in sanfterem
Tonfall, nachdem die Attacke vorbei war, »Edward, wenn ich du wäre, würde ich
jetzt zusehen, dass ich nach Hause komme.«
    »Wie bitte?«
    »Ich würde mich beeilen, Edward. Dein Albtraum hat
begonnen.«
    Moon erstarrte. »Was meinst du damit?«
    »Es geschieht gerade etwas Furchtbares«, sagte
Barabbas einfach. »Geh jetzt.« Das Gesicht des Gefangenen verschwand von den
Stäben, und seine Gestalt verschmolz mit dem Halbdunkel dahinter.
    Moon verspürte plötzlich Panik in sich aufsteigen.
»Rasch, gehen wir!«, rief er, und sie setzten sich im Laufschritt in Bewegung.
    Sie waren noch etliche Straßen vom
Albion Square entfernt, als sie erkannten, wie recht Barabbas gehabt hatte.
    Blutroter Lichtschein flackerte zum Himmel, und
dichter schwarzer Rauch strömte an der Droschke vorbei wie eine zur Erde
gezogene Sturmwolke. Als der Kutscher merkte, dass da vorn irgendeine
Katastrophe wartete, weigerte er sich, seine Passagiere noch weiter zu
befördern, und so sprang Moon aus dem Fahrzeug und rannte allein zum Albion
Square weiter. Ungeachtet der späten Stunde schien das ganze East End
vollzählig dort versammelt zu sein, und Moon musste sich durch das Gewühl
müßiger Gaffer kämpfen, um sein Ziel zu erreichen. Als er schließlich aus der
glotzenden Masse hervorstürzte, war er mit der Wahrheit konfrontiert: Das
Theater des Unglaublichen stand in Flammen.
    Mit grausamer Klarheit sah er, dass hier nichts
mehr zu retten war. Das Feuer musste kurz nach ihrem Aufbruch zum Gefängnis
entstanden sein, und nun brannte nur mehr das Skelett des Gebäudes; all sein
Fleisch und sein einnehmendes Äußeres waren längst verkohlt. Seine Fenster
waren geschwärzte, leere Augenhöhlen, sein Tor ein Haufen Schlacke. Von dem
Schild, auf dem gestanden hatte:
    DAS THEATER DES UNGLAUBLICHEN
zeigt
MISTER EDWARD MOON UND DEN SCHLAFWANDLER
Es erwarten Sie:
STAUNEN! NERVENKITZEL! FASZINATION!
    hatte nur ein winziger Teil überlebt,
auf dem nicht mehr als ein halbes Wort zu lesen war: FASZI.
    Eine Menschenkette hatte sich formiert, in der
Wassereimer von einer Hand zur nächsten bis zum Brandherd weitergereicht
wurden, aber ihre heldenhaften Bemühungen waren vergebens. Das Theater war
vernichtet,

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