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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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handelte es sich um eine gewöhnliche
Unterhaltung, als wäre Unheil ein alltägliches Geschehnis und Desaster der Normalfall
seines Lebens. »Wir denken, dass Sie im Zuge Ihrer Nachforschungen anlässlich
der Honeyman- und Dunbar-Morde durch Zufall über ein Element dieser
Verschwörung gestolpert sein könnten – über irgendeinen losen Faden im
Geflecht. Und möglicherweise könnte es uns noch gelingen, diesen Faden ganz
herauszuziehen.«
    Dem Schlafwandler schien ein plötzlicher Einfall
zu kommen, und er kritzelte etwas auf seine Tafel:
    FLIEGE
    Skimpole bedachte ihn mit dem Schatten
eines Lächelns. »Ich glaube nicht, mein Freund, dass auch nur einer von uns
annimmt, der Fliegenmensch hätte allein gehandelt. Soviel ich gehört habe, war
der Mann geistig anormal.«
    Skimpole hielt inne. Beunruhigt von dem Gedanken,
er könnte dem Schlafwandler unabsichtlich eine Kränkung zugefügt haben, ließ er
den Blick an der Gestalt des Riesen auf und ab wandern. »Nein«, fuhr er
bestimmter fort, »die Meinung geht dahin, dass er im besten Fall eine
Marionette war. Ein bloßer Mitläufer. Dessenungeachtet möchte ich Ihnen zu
diesem Treffer gratulieren. Wie schade nur, dass er so plötzlich verstorben
ist. Aber sein Ableben ist eben ganz typisch für alles, was wir von Ihnen
beiden erwarten können; wie eine Seite, herausgerissen aus einem Groschenroman.
Selbstredend wäre dies nie geschehen, hätten Sie für uns gearbeitet. Wir sind
stolz auf unsere rein sachliche Vorgangsweise, unsere Leidenschaftslosigkeit,
unseren Sinn für das praktisch Durchführbare. Im Direktorium, meine Herren, ist
kein Platz für Melodramatik.«
    Moon und der Schlafwandler tauschten einen Blick
aus.
    »Was ich Ihnen nun sagen werde, ist nur einem
halben Dutzend Männer unseres Landes bekannt, die sämtlich an der Spitze
unserer Organisation stehen. Es ist ein Staatsgeheimnis, also würde ich
vorschlagen, Sie behalten es für sich. Es ist gewiss eine platte Phrase –
und ich würde mir wünschen, ich müsste sie nicht aussprechen –, aber
Menschen sind schon für weniger zu Tode gekommen. Seit fünf Monaten erhält
meine Organisation höchst bedeutsame Informationen aus – wie soll ich es
ausdrücken? Aus einer unkonventionellen Quelle. Von einer Frau. Seit einer
meiner Männer sie letztes Jahr aufgetan hat, verlassen sich meine Kollegen in
Whitehall immer stärker auf sie. Stärker jedenfalls, als man für zuträglich
halten würde. In gewissen Angelegenheiten der Politik wird ihr Rat bereits als
so entscheidend erachtet, dass man ohne Übertreibung sagen könnte, der letzte
Krieg, an dem dieses Land teilnahm, hätte ohne die Empfehlungen dieser Frau
weitaus weniger glücklich geendet.« Skimpole senkte den Blick auf seine Füße,
verlegen wie ein ungezogener Schuljunge, den man beim Äpfelstehlen erwischt
hatte. »Gleichwohl fürchte ich, wir ließen die Dinge ein wenig ausufern.«
    »Ihr Name?«, fragte Moon kurz angebunden.
    Skimpole holte tief Atem. »Madame
Innocenti.«
    Moon tat sein Bestes, ein Lächeln zu unterdrücken.
    »Sie ist ein Medium«, erklärte Skimpole
abschließend; seine kreidebleichen Wangen hatten sich plötzlich absonderlich
scharlachrot gefärbt. »Eine Hellseherin. Sie wohnt in Tooting Bec. Und
behauptet, Botschaften aus dem Jenseits zu erhalten.«
    Moon legte die Fingerspitzen seiner Hände
aneinander und sah den Albino an; er genoss den Augenblick. »Kurz gesagt,
Mister Skimpole, Sie setzen uns soeben in Kenntnis, dass sich der britische
Geheimdienst seit fünf Monaten von den Äußerungen einer Hinterhofwahrsagerin
leiten lässt.«
    Vor Moons schroffer Geradlinigkeit zuckte Skimpole
etwas zurück. »Sind Sie schockiert?«
    »Keineswegs. Es liegt etwas ungemein Beruhigendes
in der Erkenntnis, dass sich unsere schlimmsten Ahnungen bewahrheiten.«
    Der Schlafwandler feixte, und Moon nutzte seinen
Vorteil weiter aus. »Wie weit reicht der Einfluss dieser Frau? Wie hoch hinauf
geht diese Sache?«
    Skimpole seufzte. »Bis zu den höchsten Spitzen,
Mister Moon.«
    »Und nun verraten Sie mir …« Moon kostete
Skimpoles Unbehagen voll aus. »Was hat sie mit uns zu tun?«
    »Seit einiger Zeit warnt uns Madame Innocenti vor
einem Komplott, das sich gegen den Staat richtet.«
    »Einzelheiten?«
    »Nichts Konkretes. Das, was man in diesem Fall
erwarten könnte – unbestimmte, dunkle Warnungen, formuliert auf höchst
bombastische, weitschweifige Weise. Wir möchten, dass Sie sie persönlich
kennenlernen und die

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