Das also ist mein Leben - Chbosky, S: Das also ist mein Leben - The Perks of Being a Wallflower
dann meinen Bruder und Sam gemeinsam besuchen kann. Ich will eigentlich noch gar nicht darüber nachdenken, dass Sam weggehen wird, aber ich habe mich gefragt, was wäre, wenn sie und mein Bruder miteinander ausgehen würden … doch das ist ein ziemlich blöder Gedanke, weil sie sich doch gar nicht ähnlich sind und Sam ja in Craig verliebt ist. Ich muss wirklich damit aufhören.
Jedenfalls, meine Schwester geht aufs Sarah Lawrence College, eine »kleine liberale Hochschule im Osten«. Fast hätte es nicht geklappt, weil es eine Menge Geld kostet, aber dann bekam sie ein Stipendium vom Rotary Club oder so etwas, was ich ziemlich großzügig finde. Meine Schwester ist die Zweitbeste des Jahrgangs geworden. Sie wäre beinahe die Beste geworden, aber sie hat einmal eine
Zwei gekriegt, als sie diese schlimme Zeit mit ihrem Exfreund hatte.
Mary Elizabeth geht nach Berkeley. Und Alice will Filmwissenschaft an der New York University studieren. Ich wusste nicht einmal, dass sie Filme mag – sie sagt immer »Streifen« dazu.
Ich habe übrigens »Der ewige Quell« fertig gelesen, und es war eine wirklich tolle Erfahrung. Es ist seltsam, Lesen als »tolle Erfahrung« zu bezeichnen, aber irgendwie hat es sich so angefühlt. Es war anders als die anderen Bücher, weil es nicht darum ging, jung zu sein. Und es war auch nicht wie »Der Fremde« oder »Naked Lunch«, obwohl ich schon fand, dass es philosophisch war – aber nicht so, dass man erst danach suchen musste. Ich fand, es war ziemlich direkt, und ich habe das, worüber die Autorin schrieb, auf mein eigenes Leben übertragen. Vielleicht heißt das ja, ein Sieb zu sein – ich weiß es nicht.
Da ist zum Beispiel diese Stelle, wo die Hauptfigur, ein Architekt, mit seinem besten Freund, einem Medienmogul, auf einem Schiff ist. Und der Medienmogul sagt, dass der Architekt ein ziemlich kühler Mensch sei. Und der Architekt erwidert, wenn das Schiff jetzt sänke und im Rettungsboot nur Platz für einen Menschen wäre, würde er mit Freuden sein Leben für den Medienmogul geben. Und dann sagt er:
»Ich würde für dich sterben. Aber ich würde nie für dich leben.«
Oder so ähnlich. Ich glaube, der Gedanke dahinter ist, dass jeder Mensch sich um sein eigenes Leben kümmern muss – erst dann kann er es mit anderen teilen. Vielleicht
ist es das ja, was Menschen »teilnehmen« lässt, aber ich bin mir nicht sicher. Weil ich nämlich nicht weiß, ob es mir wirklich etwas ausmachen würde, eine Weile für Sam zu leben. Allerdings würde sie das wohl gar nicht wollen, also ist es ja vielleicht gar kein so großes Problem. Hoffe ich jedenfalls.
Ich habe meinem Psychiater von dem Buch und von Bill und Sam und Patrick und ihren Colleges erzählt, aber er stellt mir immer nur Fragen über »früher«, und ich habe das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehen. Doch er meint, es wäre wichtig, also werden wir es wohl herausfinden müssen.
Ich würde ja gerne noch mehr schreiben, aber ich muss die Formeln für die Mathearbeit am Donnerstag lernen. Drück mir die Daumen!
Alles Liebe,
Charlie
5. Juni 1992
Lieber Freund,
ich muss Dir einfach davon erzählen, wie wir gerannt sind. Da war dieser herrliche Sonnenuntergang auf dem Golfplatz. Wir standen auf dem Hügel des achtzehnten Grüns, wo Patrick und ich damals vor lauter Lachen den Wein verschüttet hatten. Einige Stunden zuvor hatten Sam
und Patrick und alle meine Freunde – alle, die ich kenne – ihren letzten Schultag. Und ich war so glücklich, weil sie glücklich waren. Meine Schwester ließ sich sogar umarmen, als ich sie in der Schule traf. »Glückwunsch« war das Wort des Tages. Am Nachmittag sind Sam und Patrick und ich ins Big Boy und haben Zigaretten geraucht. Später sind wir spazieren gegangen, haben darauf gewartet, dass es Zeit für die Rocky Horror Picture Show wurde, und über alles Mögliche geredet, was uns gerade wichtig erschien. Und dann standen wir auf diesem Hügel … und auf einmal begann Patrick, dem Sonnenuntergang nachzulaufen. Und Sam lief Patrick nach. Ich sah ihre Silhouetten, wie sie die Sonne jagten, und dann fing ich auch an zu laufen. Und alles war so gut, wie es nur sein konnte.
Heute Abend beschloss Patrick, doch noch ein letztes Mal Frank N. Furter zu spielen. Er freute sich, noch einmal das Kostüm anzuziehen, und alle anderen freuten sich, dass er sich dazu entschlossen hatte. Es war wirklich bewegend – denn er lieferte die beste Vorstellung, die ich ihn je hatte geben sehen.
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