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Das alte Haus am Meer

Das alte Haus am Meer

Titel: Das alte Haus am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wentworth
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vor einigen Monaten undenkbar erschienen wäre. Wenn Dale mit ihr zufrieden war, war es ein guter Tag. Wenn sie ihn nur ein bisschen verärgerte, war es immerhin kein schlechter Tag. Redete er jedoch über Tanfield und dass die Jerninghams immer hier gelebt hätten, dann war es ein schlechter Tag. Wollte er sie dazu bringen, ihren Vormund, den alten Mr Robson, zu überreden, etwas von ihrem Kapital dafür zu verwenden, Tanfield im Besitz der Familie Jerningham zu erhalten, dann war es ein schrecklicher Tag. Zuerst waren alle Tage gut. Dann, als sie so dumm und taktlos war, ihn spüren zu lassen, dass es ihr in Tanfield kalt den Rücken hinunterlief, wurden die guten Tage seltener und seltener und die schlechten immer häufiger. Sie hatte alles getan, was sie konnte, um ihm Freude zu machen, hatte ihre Gefühle für Tanfield verborgen, und manchmal löste sich alles und es gab wieder glückliche Zeiten, so wie am Anfang. Die Woche vor dem Besuch bei den Cranes war so eine glückliche Zeit gewesen.
    Lisle lag im Bett und dachte daran, wie glücklich sie gewesen waren; sie versuchte nicht daran zu denken, dass das Glück an dem Tag begonnen hatte, als sie ihr neues Testament im Büro von Mr Robson unterzeichnet hatte. Doch warum sollte sie eigentlich nicht daran denken? Sie hatte es Dale zu Gefallen getan. Na und? Warum sollte sie damit nicht zufrieden sein? Sie hatte keine nahen Verwandten, wie also hätte sie ihr Testament sonst abfassen sollen?
    »Ihr Vater hat die Testamentsgestaltung Ihnen überlassen, Mrs Jerningham. Falls Sie keine Kinder haben sollten, können Sie Ihr ganzes Vermögen Ihrem Ehemann hinterlassen. Wenn Sie Kinder haben, können Sie ihm ein lebenslanges Nutzungsrecht an der Hälfte Ihres Vermögens gewähren. Sie können natürlich auch anders verfügen. Habe ich mich klar und deutlich genug ausgedrückt?«
    »O ja, Mr Robson.«
Dale hatte sie über den Kopf des alten Mannes hinweg angelächelt, ein tiefes, warmes Lächeln, das ihr Herz
    erwärmte. Spontan und glücklich hörte sie sich sagen: »So will ich es machen, ich hinterlasse den Großteil
Dale.«
Das Glück hatte eine ganze Woche angehalten. Wenn sie
daran zurückdachte, war es, als betrachtete sie einen
sonnigen Garten voller Blumen. Selbst die Tatsache, dass
sie fast ertrunken wäre, konnte dem keinen Abbruch tun;
    denn wenn sie daran dachte, spürte sie nur Dales Arme um sich, als sie die Augen wieder öffnete und sie hörte Dales gebrochene Stimme, die immer wieder ihren Namen wiederholte:
    »Lisle … Lisle … Lisle!« Die Zweifel, die Ängste und der Schock, der sie dazu gebracht hatte, sich im Zug Miss Silver anzuvertrauen, hatten keinen Raum mehr. Sie hatten sich wie Nebel verzogen.
    Wenn sie doch nur nicht von den Cranes weggelaufen wäre … Dale hatte sie gesucht. Er hatte sie geküsst, als ob er sie liebte. Und dann, als er erfuhr, dass sie davongelaufen war, war es aus mit dem Glück. Den ganzen Abend hatte er sie nicht angesehen. Hatte kaum mit ihr gesprochen, obwohl er zu Rafe und Alicia reizend und herzlich war. Und als sie dann nach oben gingen, hatte er ihr nur knapp eine gute Nacht gewünscht, war in sein Ankleidezimmer gegangen und hatte die Tür geschlossen.
    Sie lag da und sah sich in dem düsteren Zimmer um. Das große Himmelbett aus massivem, reich geschnitztem Holz. Beim ersten Anblick hatte es Lisle an einen Katafalk erinnert. Sie hasste es, aber wenn Dale da war und lieb zu ihr war, vergaß sie es. Nur wenn sie allein war und unglücklich, dann schienen all die dunklen, schweren Möbel nicht ihr zu gehören, sondern all den verstorbenen Jerninghams, die hier auf die Welt gekommen waren, geheiratet hatten und gestorben waren, bevor jemand auch nur an Lisle van Decken dachte. Links von ihr waren drei hohe Fenster; bei zweien waren die Vorhänge zugezogen, beim dritten waren sie offen. Dales Tür war ihr gegenüber, und das Mondlicht, das durch das eine Fenster fiel, warf ein blasses Rechteck auf den Boden. Das Licht erstreckte sich bis zur Türschwelle. Wenn sich die Tür öffnete, wäre sie vom Mondlicht beschienen. Aber sie würde sich jetzt nicht öffnen. Dale würde nicht kommen. Er hatte kurz angebunden gute Nacht gesagt und war gegangen.
    Sie lag ganz still, und langsam aber sicher verdüsterte sich ihr Gemüt. Das Mondlicht zog weiter, und das Zimmer verdüsterte sich auch. Irgendwann zwischen Mitternacht und ein Uhr glitt Lisle in Schlaf.
    Im Zimmer nebenan erwachte Dale Jerningham aus dem Tiefschlaf.

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