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Das alte Haus am Meer

Das alte Haus am Meer

Titel: Das alte Haus am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wentworth
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gefürchtet – ja richtig gefürchtet … Aber Cecilia Cole, Nichte der Postvorsteherin … Nein, da gab es keinen Zusammenhang. Nur einer dieser traurigen Vorfälle, die allseits einen kurzen Anflug von Mitleid auslösen und fast so schnell vergessen sind wie der Seufzer verflogen ist.
    Als Nächstes las sie über eine riesige Sonnenblume in einem Garten in Cornwall. Es hieß, sie sei fünf Meter hoch.
    Miss Silvers feine Gesichtszüge zeigten leichte Skepsis. Cornwall war weit weg, ging es ihr durch den Kopf. Das Telefon klingelte durchdringend. Sie faltete die Zeitung zusammen, legte sie auf die linke Seite ihres Schreibtisches und hob ohne Eile den Hörer des rechts von ihr stehenden Apparates ab. Sie hörte eine Stimme, die aus weiter Ferne zu kommen schien. Es war eine Frauenstimme. Sie sagte:
    »Kann ich Miss Silver sprechen?«
»Am Apparat.«
»Miss Maud Silver?«
»Ja. Mit wem spreche ich bitte?«
Es folgte eine Pause. Dann die Stimme, dünn und
    zögernd.
»Sie haben mir im Zug Ihre Visitenkarte gegeben. Nein,
es war hinterher auf dem Bahnsteig. Wahrscheinlich
können Sie sich nicht mehr erinnern.«
»Natürlich erinnere ich mich. Was kann ich für Sie tun,
Mrs Jerningham?« Miss Silvers Stimme war freundlich
und bestimmt.
Lisle Jerningham, die von einer Telefonzelle in
Ledlington aus anrief, gewann dadurch sofort ihre Fassung
wieder. Sie sagte:
»Könnte ich Sie morgen aufsuchen? Es ist etwas
passiert.«
Miss Silver hustete leicht.
»Ich habe gerade einen Artikel in der Abendzeitung
gelesen.«
Lisle sagte: »Ja«, dann schnell und abgehackt, »ich muss
mit jemandem reden … ich kann nicht mehr … ich weiß
nicht, was ich tun soll.«
»Dann kommen Sie besser zu mir. Sagen wir um halb zwölf? Ist das nicht zu früh für Sie? … Gut, dann erwarte ich Sie. Und denken Sie bitte daran, dass es aus jeder Situation einen Ausweg gibt. Geteiltes Leid ist halbes
Leid. Ich erwarte Sie also um halb zwölf.«
Lisle verließ die Telefonzelle. Sie war sehr froh darüber,
nicht selbst nach Hause fahren zu müssen. Zwei Dinge
waren ihr in all dem schrecklichen Tumult dieses Tages
klar geworden. Sie brauchte Rat und Hilfe, und sie konnte
sich nicht an Mr Robson wenden, denn das wäre Dale
gegenüber nicht fair. Wenn sie zu jemandem ging, dann zu
einem Fremden; es sollte gerecht zugehen, die
Waagschalen nicht einseitig belastet werden.
Ohne jemandem etwas davon zu sagen, war sie in die
Garage gegangen und hatte Evans gebeten, sie nach
Ledlington zu fahren. Sie konnte Miss Silver nicht vom
Schloss aus anrufen, denn der Telefonanschluss ging über
das Postamt, und die arme Miss Cole war die Letzte, die
hören sollte, was sie vielleicht sagen musste.
Jetzt hatte sie es hinter sich gebracht und konnte nach
Hause fahren. Der Inspektor von der Polizei in Ledlington
würde kommen und ihre Aussage bezüglich Cissie
aufnehmen. Er würde mit allen sprechen wollen, die sie
gesehen hatten. Das waren allerdings nur Lisle und
William, der sie hereingelassen hatte. Und was gab es
schon zu sagen? Die arme Cissie, sie war unglücklich
gewesen, sehr unglücklich. Was konnte man sonst noch
sagen? Mehr gab es doch nicht? Die Polizei suchte nach
Pell. Aber wozu? Er hatte Cissie unglücklich gemacht.
Angenommen, er hatte sie so unglücklich gemacht, dass
sie sich die Klippen hinabgestürzt hatte? Was könnte die
Polizei tun? Nach dem Gesetz ist es nicht strafbar, einer
Frau das Herz zu brechen und sie unglücklich zu machen.
Aber warum musste die Polizei Pell suchen? Er hatte seine
Arbeit am Flugplatz. Warum war er nicht dort?
Diese Gedanken wirbelten Lisle durch den Kopf,
während Evans sie nach Tanfield zurückfuhr.
Als sie die Halle betrat, kam Rafe auf sie zu. Sie hatte
ihn nicht mehr gesehen, seit er am vergangenen Abend die
Terrassentreppe hinuntergelaufen war. Ohne sie zu
grüßen, kam er zu ihr.
»Wo warst du? Der Inspektor ist hier. Er will dich
sprechen.«
»Ich weiß. Er hat angerufen. Ich habe gesagt, dass ich
rechtzeitig da bin. Wo ist er?«
»Im Arbeitszimmer, mit Dale.«
»Dale?«
»Er will mit uns allen sprechen.«
»Warum?«
»Weiß der Himmel.«
Sie war bereits so blass, dass nicht mehr Farbe aus ihrem
Gesicht weichen konnte. Die von einem weißen Band
gehaltenen hellblonden Haare, das weiße Leinenkleid, der
blasse Hals und die Wangen, die Art, wie sie dastand, so
als wären Beweglichkeit und Farbe von ihr gewichen, ließ
sie wie eine der Statuen aussehen.
Wortlos blickten sie auf die Tür des Arbeitszimmers.
    19

    Dale

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