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Das alte Haus am Meer

Das alte Haus am Meer

Titel: Das alte Haus am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wentworth
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kamen.
    »Wohin gehen wir, Dale?«
»Die Sandbank entlang. Wir haben noch Zeit.« Eine spitz zulaufende Sandbank zog sich zwischen den
    Felsen hindurch. Bedenkenlos gab sich Lisle der Dämmerung, der kühlen Luft, der ruhigen Schönheit von Meer und Himmel hin. Die Anspannung des Tages ließ ein wenig nach. Aus der Betäubung wurde so etwas wie Frieden. Sie wollte nicht mehr zurück. Dales Arm führte sie. Er war stark und fürsorglich. Ihre Gedanken flossen in einfachen Bahnen: Abendruhe, Fürsorglichkeit, Frieden …
    Keiner von ihnen sprach, bis sie auf dem sandigen Grat standen, den die von Tane Head kommende Strömung gegen die Ausläufer der Shepstone-Felsen angeschwemmt hatte.
    »Es ist schön hier, nicht?«, sagte Dale.
»Wunderschön«, sagte sie mit verträumter Stimme. »Wir haben gerade noch Zeit, um die Felsen
    herumzugehen.«
»Wirklich? Können wir nicht lieber hier bleiben?« »Nur um die Felsen herum, Liebling. Da ist etwas, das
    ich dir zeigen möchte. Aber wir müssen uns beeilen.« Er hatte sie nun untergehakt. Sie wandten sich landeinwärts und suchten sich einen Weg von der Sandbank zu dem Felsen und dem dahinter liegenden groben Kies.
    Ganz plötzlich war es dunkel. Der leuchtende Himmel und sein Widerschein im Meer lagen hinter ihnen. Sie blickten auf einen flachen Strand mit verstreuten, von dunklem Seetang bedeckten Felsen, die sich bis zu den steil aufragenden Klippen zogen. Einen Augenblick lang befanden sie sich in einer Mulde, aber Dale ging auf einen Kiesstreifen zu, der zwischen der großen ShepstoneKlippe und kleineren Felsen hindurchführte. Sie waren noch nicht weit gegangen, als der Felsen zu ihrer Linken so hoch wurde, dass sie nicht mehr darüber hinwegschauen konnten. Die Tanfield-Seite der Barriere war verschwunden, als hätte sie nie existiert. Alles Vertraute war verschwunden. Um sie war nur noch sich verdichtende Finsternis, das Klatschen der Wellen hinter ihnen und der Geruch des faulenden Seetangs.
    Lisle blieb stehen.
»Dale, ich möchte umkehren.«
»Warum? Es ist nur noch ein kurzes Stück.« Er legte
    seinen Arm wieder um ihre Taille.
»Es wird so dunkel.«
»Das ist bloß, weil wir mit dem Rücken zum Meer
    stehen. Gleich biegen wir ab, und dann wird es wieder heller. Schau, da oben ist etwas, das ich dir zeigen möchte. Gib mir die Hand, ich zieh dich hoch.«
    Als er das gesagt hatte, ließ er sie los, kletterte an einem langen zerklüfteten Abhang hinauf, drehte sich um, packte sie am Handgelenk und zog sie zu sich hoch. Sie folgte ihm ungern, hatte aber nicht die Energie, sich zu widersetzen. Wenn er ihr gezeigt hatte, was er ihr zeigen wollte, dann würde er sie wieder nach Hause gehen lassen. Es hatte ja nie Sinn, sich Dale zu widersetzen. Es musste immer alles nach seinem Kopf gehen. Aber wenn er sein Ziel erreicht hatte, dann würden sie heimgehen und sie konnte schlafen.
    Sie stand auf dem abgeflachten Felsen, zu dem er sie gebracht hatte, und sah hinab in die Schwärze. Hohe Felsenwände umschlossen ein ungefähres Dreieck, dessen Basis der Fels war, auf dem sie standen. Wie in einen schwarzen Schlund ging es vor ihr hinunter, tief hinunter bis zum entfernt aufschimmernden Wasser. Weit weg schien das Wasser tief unten. Wie tief, wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass ihr schwindelig wurde. Sie hätte einen Schritt zurückgemacht, wäre nicht der Arm um ihre Taille gewesen, Dales Arm, sehr stark und fürsorglich – so hatte sie gedacht.
    Der Arm stieß sie vorwärts, gab ihr einen unvermittelten Stoß. Ihre Füße rutschten und verloren den Halt. Sie griff in die leere Finsternis und verschwand in ihr. Sie tauchte ins Wasser, sonst wäre es das Ende von Lisle Jerningham gewesen. Ins Wasser, und ging unter mit einem erstickten Schrei auf den Lippen, tauchte wieder auf, kniete, Meerwasser in Augen, Ohren und Mund. Und kam dann mit größter Anstrengung wieder auf die Beine, Kopf und Schulter ragten aus dem Wasser, ihre Hände klammerten sich an den Felsen fest.
    Sie stand jetzt sicherer, schob die nassen Haare aus dem Gesicht und blickte nach oben. Rund um sie her schwarze Wände, sehr schwarz, der Himmel noch ein tiefes Blau, ein wenig Licht von oben. Und vor dem Licht und dem Blau des Himmels stand Dale, schwarz und groß und schweigend blickte er herab. Leise und erschreckt stieß sie seinen Namen hervor.
    »Dale …«, und dann, »Ich bin gestürzt …«
Es stimmte nicht. Er hatte sie gestoßen. Sie wusste es,
    aber sie konnte es nicht glauben, noch nicht,

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