Das alte Kind
gibt«, sagte Carla und spürte Adrenalin durch ihren Körper schießen. Wie lange hatte sie darauf gewartet, endlich dieses Gespräch zu führen. »Meine größte Angst ist, Felicitas könnte gestorben sein, und sie haben mir ein Waisenkind untergeschoben, damit ich es nicht herausfinde.«
»Entschuldige, aber das ist albern«, sagte Ella.
»Wieso albern? Es ist zumindest eine Möglichkeit.«
»Sehr unwahrscheinlich.«
»Dann haben sie das Kind mit einem anderen vertauscht, und nun wollen sie es nicht zugeben. So wie sie es nicht zugeben wollen, wenn sie bei einer Operation etwas falsch gemacht haben. Oder eine falsche Diagnose stellen.«
Ella schüttelte den Kopf. »Ich habe mich umgehört. Es gab zu der Zeit kein Kind im gleichen Alter auf der Station. Nicht mal für einen Tag.«
Carla nahm den Blick von den Bildern. »Du hast dich umgehört? Wann?«
»Zwei, drei Tage nachdem sie dir das falsche Kind gebracht hatten.«
»Warum hast du mir nie etwas davon erzählt?«
»Weil ich nicht wusste, was ich von der ganzen Sache halten soll.«
»Weil du mir nicht geglaubt hast«, korrigierte Carla.
Ella nickte. »Ich habe die Ärzte und die Schwestern wirklich gelöchert mit allen möglichen Fragen. Und nach allem, was ich erfahren habe, ist es mehr oder weniger unmöglich, dass sie dir ein falsches Kind gegeben haben.«
»Unmöglich? Aber du siehst doch, dass es ein falsches Kind ist!«
»Lass uns noch mal alle Möglichkeiten durchspielen. Falls sie, wie du glaubst, im Krankenhaus die Sache vertuschen wollen und wirklich das Kind einer anderen Frau aus Versehen mit Felicitas vertauscht haben: Was ist dann mit dieser anderen Mutter? Sie muss doch auch merken, dass sie ein falsches Kind hat? Würde sie nicht genauso reagieren wie du? Alles daransetzen, ihre richtige Tochter wiederzubekommen?«
Carla hatte auch schon darüber nachgedacht. »Deshalb komme ich ja auf das Waisenkind.«
»Man kann nicht einfach ein Kind aus einem Waisenhaus holen.«
»Vielleicht kennt ein Arzt dort jemanden, hat ihn eingeweiht und die Kinder vertauscht.«
»Na gut. Das heißt, ich werde versuchen herauszufinden, ob im September 78 ein sechs Monate alter Säugling verschwunden oder gestorben ist.«
Carla nickte langsam. »Danke.«
»Aber du hast noch eine andere Idee.«
»Was, wenn es da wirklich eine Mutter gibt, die ihr Kind loswerden wollte? So wie sie es mir unterstellen. Diese Mutter wusste, dass Fliss krank ist. Und weil sie kein krankes Kind wollte, hat sie es gegen ein gesundes getauscht.«
Ella starrte sie an. »Aber dann müsste doch ihr gesamtes Umfeld etwas davon mitbekommen haben. Verwandte, Freunde, die müssen doch gemerkt haben, dass da plötzlich ein anderes Kind war.«
»Vielleicht war ihr Kind ähnlich isoliert wie Felicitas?«, schlug Carla vor.
»Und dann geht sie auf gut Glück in das nächstbeste Krankenhaus und tauscht ihr Kind? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, einen etwa gleichaltrigen, gleichgeschlechtlichen Säugling im Krankenhaus aufzutreiben?«
»Sie könnte schon längere Zeit gesucht haben.«
»Eine Frau, die ohne Grund mit ihrem Baby auf dem Arm in einem Krankenhaus herumspaziert und die Säuglingsstation beäugt, würde doch sicher auffallen.«
»Ich weiß es!«, rief Carla aufgeregt. »Eine Krankenschwester könnte es getan haben. Oder eine Ärztin! Überleg doch mal. Sie hat zu Hause ein krankes Kind und bekommt es mit der Angst zu tun. Sie sieht den ganzen Tag von Berufs wegen kranke Menschen und will nun nicht auch noch eine kranke, pflegebedürftige Tochter haben. Also wartet sie nur auf die Gelegenheit, bis ein gleichaltriges Mädchen auf der Station landet, und dann tauscht sie es aus.«
»Ich gebe zu, das klingt nach einer logischen Erklärung. Aber welche Mutter würde so etwas tun?«
Carla zuckte die Schultern. »Ich habe gehört, dass man mit dieser neuen Methode, wie heißt es gleich…Ultraschall! Dass man mit Ultraschall nicht nur das Geschlecht des Babys erkennen kann, sondern auch, ob es Missbildungen hat oder behindert ist. Die Eltern können sich jetzt viel besser auf das vorbereiten, was sie bei der Geburt erwartet. Du weiß doch, wie sich manche schon beim Geschlecht anstellen. Man hört doch immer wieder von Vätern, die vor Verzweiflung weinen, weil sie immer noch keinen Sohn bekommen haben.«
Ella schüttelte den Kopf. »Ich versteh nicht, worauf du hinauswillst.«
»Als ich mit Felicitas schwanger war, ist niemand auf die Idee gekommen, mich ins Krankenhaus
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