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Das alte Königreich 01 - Sabriel

Titel: Das alte Königreich 01 - Sabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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gestelltes Wild. Mogget saß auf Abhorsens Schulter; dabei sah es ihm gar nicht ähnlich, sich in Gefahr zu begeben. Und noch etwas war seltsam an Mogget – er trug sein Halsband nicht. Vielleicht sollte er umkehren, Mogget das Halsband wieder umlegen und versuchen, gegen Kerrigor zu kämpfen…
    »Lauf! Rasch! Lauf!«, rief Sabriel, als er sich halb umdrehte. Ihre Stimme riss ihn aus seiner merkwürdigen Trance. Übelkeit befiel ihn, denn sie hatten die Schutzraute verlassen und er musste sich plötzlich übergeben. Ihm wurde bewusst, dass Sabriel ihn erneut hinter sich herzerren musste; deshalb zwang er sich schneller zu laufen, obwohl seine Beine ihm nicht mehr zu gehören schienen. Er konnte die Toten wieder hören, ihren Singsang, ihr Klatschen, das immer schneller ging. Auch laute Stimmen hallten in der riesigen Zisterne. Er vernahm das Heulen des Mordicanten und einen eigenartig summenden, knisternden Laut, den er mehr spürte als hörte.
    Sie erreichten die Südtreppe; dennoch verlangsamte Sabriel den Schritt nicht. Sie sprang aus dem Dämmerlicht des Reservoirs, hinauf in völlige Dunkelheit. Touchstone verlor ihre Hand, fand sie aber wieder, und gemeinsam stolperten sie die Stufen hinauf, Schwert und Degen schwingend, dass Funken vom Stein sprühten. Immer noch hörten sie den Lärm hinter sich, das Heulen, Trommeln, Schreien, alles verstärkt durch das Wasser und die Weite des Reservoirs. Dann schnitt ein klarer Klang durch den Lärm.
    Er begann leise wie das Klingen einer Stimmgabel, wuchs jedoch zu einer reinen Note an, wie von einem Trompeter mit unerschöpflichem Atem, bis es nichts mehr gab als diesen Laut… Astaraels Stimme.
    Sabriel und Touchstone hätten beinahe angehalten. Sie hatten das brennende Verlangen, ihre Körper zu verlassen, sie abzuwerfen wie abgetragene Kleidung. Ihr Geist – ihr eigentliches Selbst – wollte in den Tod gehen und sich freudig in die stärkste Strömung werfen, um bis ans Ende getragen zu werden.
    »Denk an das Leben«, rief Sabriel. Ihre Stimme war gerade noch über Astaraels berückendem Klang hörbar. Sie konnte spüren, wie Touchstone in den Tod zu gleiten begann, da sein Wille nicht genügte, ihn am Leben zu halten. Er schien den plötzlichen Ruf in den Tod fast erwartet zu haben.
    »Kämpf dagegen an!«, rief Sabriel aufs Neue. Sie ließ das Schwert fallen, um Touchstone ins Gesicht zu schlagen. »Lebe!«
    Trotzdem entglitt er dem Leben immer weiter. Verzweifelt packte sie ihn an den Ohren und küsste ihn heftig, biss ihn tief in die Lippe, dass sie sein salziges Blut schmecken konnte. Endlich wurde sein Blick klarer, und sie spürte, dass er sich wieder konzentrierte – auf das Leben. Jetzt ließ auch er den Degen fallen, schlang die Arme um sie und erwiderte ihren Kuss. Dann legte er den Kopf auf ihre Schulter, sie ihren Kopf auf seine, und sie hielten einander ganz fest, bis Astaraels Klang allmählich verhallte.
    Endlich setzte Stille ein. Vorsichtig ließen sie einander los. Touchstone tastete zittrig nach seinem Degen. Sabriel zündete rasch eine Kerze an, ehe er sich in der Dunkelheit noch in die Finger schnitt. Im flackernden Licht blickten sie einander an. Sabriels Augen waren feucht, Touchstones Mund blutig.
    »Was war das?«, fragte er heiser.
    »Astarael«, antwortete Sabriel. »Die Verbannerin, die endgültige Glocke. Sie ruft alle, die sie hören, in den Tod.«
    »Kerrigor…«
    »Er wird wiederkommen«, erwiderte Sabriel leise. »Er wird immer wiederkommen, bis sein wahrer Körper vernichtet ist.«
    »Was ist mit Eurem Vater?«, murmelte Touchstone. »Mit Mogget?«
    »Vater ist tot«, sagte Sabriel. Sie wirkte gefasst, doch aus ihren Augen sprach tiefe Trauer. »Er wird sich schnell zum Letzten Tor begeben. Und Mogget? Ich weiß es nicht.«
    Sie drehte den Silberring an ihrer Hand, runzelte die Stirn und hob den Degen auf, den sie von Touchstone genommen hatte.
    »Komm!«, befahl sie. »Wir müssen zum Westhof hinauf. Schnell!«
    »Dem Westhof?«, fragte Touchstone und bückte sich erneut nach seinem Degen. Ihm war übel und er war verwirrt. Langsam richtete er sich wieder auf. »Dem Westhof des Schlosses?«
    »Ja«, antwortete Sabriel. »Gehen wir.«

     

24
    Der Sonnenschein schmerzte in ihren Augen. Erstaunlicherweise war eben erst die Mittagsstunde zu Ende gegangen. Sabriel und Touchstone stolperten hinaus auf die Marmorstufen der Höhle und blinzelten wie Nachttiere, die aus ihrem unterirdischen Bau vertrieben worden waren.
    Sabriel

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