Das alte Königreich 03 - Abhorsen

besiegen.
    Saraneths kräftiger Ton drang selbst durch den Donner. Sofort spürte Sam, wie die Schattenhände sich ihm zu widersetzen suchten und sich gegen seinen Willen aufbäumten. Bald schwitzte Sam vor Anstrengung am ganzen Körper. Diese Geister waren alt und viel stärker als die Totenhände, die er mit Kibeth ins Totenreich geschickt hatte. Mit aller Kraft konnte er sie daran hindern, weiterzugehen, während sie an den magischen Banden zerrten, mit denen Saraneth sie so leicht – oh, so leicht – umschlungen hielt.
    Langsam versank die Welt um Sam, bis es nur noch die vier Geister für ihn gab und den Kampf gegen sie. Alles war wie weggewischt – der feuchte Nebel, die Soldaten um ihn herum, Blitz und Donner. Es gab nur noch ihn und seine Gegner.
    »Beugt euch meinem Willen!«, rief er, jedoch mit dem Verstand und dem Willen, nicht mit einer Stimme, die menschliche Ohren hätten hören können. Sam vernahm die Antwort auf dieselbe Weise: In seinem Geist erklang ein vierstimmiges Heulen und Zischen, mit dem die Gegner sich ihm widersetzten.
    Sie waren durchtrieben, diese Schattenhände. Einer gab vor zusammenzubrechen, doch als Sam seinen Willen gezielt auf ihn richtete, griffen die anderen an und wären ihm beinahe entglitten.
    Nach und nach erkannte Sam, dass sie ihm nicht nur widerstanden, sondern auch die Bande lockerten. Jedes Mal, wenn er seine Konzentration verlagerte, glitten sie ein Stück vorwärts. Nur ein paar Schritte, doch der Abstand wurde immer geringer. Bald würden sie an ihm vorbeischlüpfen, das Leben aus den Soldaten neben ihm saugen und sich auf den hilflosen Körper Liraels stürzen.
    Er wurde sich auch bewusst, dass nur ein paar Sekunden vergangen waren, seit er die Saraneth-Flöte blies – und er musste nun wieder Luft holen. Auch wenn der Klang der Flöte dann nicht abbrach, würde er schwächer werden. Würde Sam nur einen Augenblick innehalten, um Atem zu holen, und Saraneth dann wieder blasen, würden die Bande wieder fester. Sam wusste, dass die Herrschaft über diese Geister zum Greifen nahe war – und doch nicht nahe genug.
    Wie die Dinge standen, konnte er nichts anderes tun, als seinen Willenskampf fortzusetzen, um die Kreaturen aufzuhalten, solange er es vermochte. Lirael konnte jeden Augenblick zurückkehren und ihm mit den Glocken zu Hilfe kommen. Er musste die Schattenhände bis zum letzten Atemzug aufhalten!
    Sam verbannte den Schrei seines Körpers nach Luft in einen Winkel seines Verstandes. Nichts war wichtiger, als die Gegner aufzuhalten. Er würde seine ganze Kraft, jeden Fetzen seines Bewusstseins auf die Schattenhände konzentrieren und den letzten Hauch von Luft in die Flöte blasen. Sie würden Lirael nicht erreichen! Sie durften es nicht. Sie war die letzte Hoffnung der ganzen Welt gegen den Zerstörer.
    Die Schattenhände kamen einen weiteren Schritt näher. Sams ganzer Körper zitterte vor Anstrengung, als er sie zurückzudrängen versuchte. Seine Muskeln spiegelten seinen übermenschlichen Willenskampf wider. Doch er spürte, dass er schwächer wurde, während die Toten an Kraft gewannen. Er war nahe daran, aus Luftmangel das Bewusstsein zu verlieren, und ein fast unbezwingbares Verlangen zurückzuweichen stieg in ihm auf. Den Kampf aufgeben… atmen… diese Monster einfach vorbeilassen…
    Doch während er kämpfte, rang er auch seine eigenen Ängste nieder und drängte sie in einen dunklen Winkel seines Verstandes. Dort würden sie bleiben, und er war entschlossen, über seinen letzten Atemzug hinaus zu kämpfen. Gleichzeitig suchte er verzweifelt nach einem Ausweg, einer Möglichkeit, die Gegner irgendwie zu überlisten.
    Doch ihm fiel nichts ein, und wenngleich er keine Bewegung der Schattenhände gesehen oder gespürt hatte, waren sie näher gekommen. Sie waren nun fast in Reichweite seines Schwertes, tiefschwarze Schattengestalten, die eine unirdische Kälte ausstrahlten.
    Die beiden Äußeren versuchten sich um Sam herumzubewegen. Offenbar hatten sie vor, ihn einzukreisen und in ihrer Schattensubstanz zu begraben. Dann würden vier hungrige Geister sein Leben verschlingen und sich anschließend der wehrlosen Lirael zuwenden.
    Plötzlich explodierte Feuer am Kopf der Schattenhand, die am nächsten stand, ein faustgroßer Ball aus blauen Flammen. Doch das tote Wesen zuckte nicht einmal, und das Feuer verpuffte in einzelne Zeichen, aus denen es geschaffen war und die im Nebel verschwanden.
    Ein weiterer Charterzauber traf ohne jede Wirkung und