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Das alte Königreich 03 - Abhorsen

Titel: Das alte Königreich 03 - Abhorsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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jetzt weiter, Gebieterin.«
    Lirael beugte sich über die nächste Kette und hauchte leicht darauf. Einen Augenblick geschah nichts, und Unsicherheit erfasste sie: Ihre Identität als Abhorsen war so neu, dass sie leicht bezweifelt werden konnte.
    Dann überzog die Kette sich mit Dunst, die Zeichen leuchteten, und die Glieder quollen mit dem Rasseln von Metall aus dem Stein.
    Das Geräusch wiederholte sich fast unmittelbar darauf auf der anderen Seite, als Sam auf die dritte Kette hauchte.
    Lirael folgte seinem Beispiel und berührte die letzte Kette, während sie Atem holte. Sie spürte die Zeichen unter ihren Fingern zittern – die Reaktion eines Charterzaubers, der erkannte, dass seine Zeit gekommen war. Wie ein Mensch, der die Muskeln spannt, ehe er zu rennen beginnt.
    Da die Ketten gelockert waren, konnten Lirael und Sam den Deckel nun an einer Stelle heben und ein Stück zur Seite schieben. Er war sehr schwer; deshalb versuchten sie gar nicht erst, ihn ganz abzuheben, sondern verschoben ihn nur so weit, dass sie mit den umgeschnallten Rucksäcken hinuntersteigen konnten.
    Lirael hatte erwartet, dass modriger Gestank aus dem Brunnen emporsteigen würde, obwohl die Hündin ihnen versichert hatte, dass er nicht mit Wasser gefüllt war. Dafür aber drang ihnen ein Geruch entgegen, der den Rosenduft überlagerte und angenehm an Kräuter erinnerte, die Lirael allerdings fremd waren.
    »Was rieche ich da?«, fragte sie die Hündin, deren Nase schon oft Gerüche wahrgenommen hatte, die Lirael weder riechen, beim Namen nennen oder sich auch nur vorstellen konnte.
    »Sehr wenig«, antwortete die Hündin, »es sei denn, dein Geruchssinn hat sich in letzter Zeit verbessert.«
    »Nein«, erwiderte Lirael. »Aber irgendein auffallender Geruch dringt aus dem Brunnen, von einer Kräuterpflanze. Nur weiß ich nicht, worum es sich handelt.«
    Sam schnupperte und runzelte überlegend die Stirn.
    »Es ist etwas, das man zum Kochen verwendet«, meinte er. »Nicht, dass ich viel vom Kochen verstehe. Aber ich kenne diesen Geruch aus der Schlossküche… ich glaube, das Kraut wurde bei Lammbraten verwendet.«
    »Es ist Rosmarin«, sagte die Hündin. »Außerdem ist da noch Amarant, auch wenn ihr es vermutlich nicht riechen könnt.«
    »Treue in der Liebe«, sagte eine Stimme leise aus Sams Rucksack. »Durch die Blume, die nie verwelkt. Und du behauptest immer noch, dass sie nicht da ist?«
    Die Hündin antwortete Mogget nicht, sondern streckte ihre Schnauze in die Brunnenöffnung. Sie schnüffelte mindestens eine Minute und schob die Schnauze immer tiefer den Brunnen hinunter. Als sie den Kopf schließlich zurückzog, nieste sie laut.
    »Alte Gerüche, alte Zauber«, sagte sie. »Der Geruch schwindet bereits.«
    Lirael schnupperte ebenfalls, doch die Hündin hatte Recht. Sie konnte jetzt nur noch die Rosen riechen.
    »Da ist eine Leiter«, stellte Sam fest, der ebenfalls in den Brunnen blickte, während ein Charterlicht über seinem Kopf hüpfte. »Aus Bronze, wie die Ketten. Aber ich kann den Grund nicht sehen – und auch kein Wasser.«
    »Ich steige als Erste hinunter«, erklärte Lirael. Sam schien protestieren zu wollen, ließ ihr dann aber den Vortritt. Ob aus Angst oder weil sie seine Tante war oder die Abhorsen-Nachfolgerin, wusste Lirael nicht.
    Sie blickte in den Brunnen. Eine Bronzeleiter schimmerte unweit vom oberen Rand und verlor sich in der Dunkelheit. Lirael war in der Großen Bibliothek der Clayr viele dunkle und gefährliche Stollen und Gänge hinauf- und hinuntergestiegen. Doch das war in weniger gefährlichen Zeiten gewesen, obwohl sie auch damals Abenteuerliches erlebt hatte. Jetzt spürte sie gewaltige, finstere Mächte am Werk, die auf ein schreckliches Schicksal hinarbeiteten. Die Toten, die das Haus umzingelten, waren nur ein kleiner, sichtbarer Teil davon. Sie erinnerte sich an die Vision, die ihr die Clayr von der Grube nahe dem Roten See gezeigt hatten, und an den grauenvollen Gestank Freier Magie von irgendetwas, das dort ausgegraben wurde.
    Dieses dunkle Loch hinunterzuklettern war erst der Anfang. Ihr erster Schritt auf die Bronzeleiter würde der erste wirkliche Schritt ihrer neuen Identität werden, der erste Schritt als Abhorsen.
    Sie warf einen letzten Blick auf die Sonne, ohne die Nebelwände zu beiden Seiten zu beachten. Dann stieg sie vorsichtig in den Brunnen, und ihre Füße schienen wie von selbst sicheren Halt auf den Leitersprossen zu finden.
    Ihr folgte die Fragwürdige Hündin, deren

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