Das Amulett der Pilgerin - Roman
winkte ab. Er kannte Gilbert Miller schon viel zu lange, um sich von ihm Hilfe zu erhoffen.
»Es ist nicht deine Schuld, Emmitt.«
»Ich verstehe nur nicht, warum Miss Viviana behauptet, dass Sie die Liste haben?«
»Darf ich daran erinnern, dass Miss Viviana nachgewiesenermaßen eine Agentin des Feindes ist?«, sagte Julian ungeduldig, dem Emmitts schwärmerischer Ton, sobald er von Viviana sprach, nicht gefiel.
Emmitt errötete.
Viviana hatte ihn mit einer Lüge verkauft. Warum hatte sie ihn noch zusätzlich ans Messer geliefert, obwohl sie die Liste entschlüsseln konnte? Sie musste doch tiefer in die Sache verwickelt sein, als sie zugegeben hatte. Den Verschwörern kam es gerade recht, einen Sündenbock für das Verschwinden des Pergaments zu haben. Viviana musste sich mit Thorn zusammengetan haben. Dieser Gedanke ließ Julian erschauern.
»Was machen wir jetzt, Sir?«, fragte Emmitt durch die Tür.
»Wo ist der Glatzkopf?«
»Im Verlies des Sheriffs, Miller will ihn nach dem Abendessen verhören.«
»Wieso Miller, du hast ihn doch geschnappt?«
Emmitt schwieg.
»Du darfst ihn nicht vom Haken lassen, Emmitt, der Glatzkopf ist die Verbindung zu den Verschwörern«, fügte Julian hinzu.
»Wenn Mister Thorn die Liste hat, dann müssen wir die Verfolgung aufnehmen«, schlug Emmitt schließlich vor. »Leider habe ich keinen Schlüssel, um die Tür zu öffnen.«
»Du wirst auch nichts dergleichen tun, ich will dich da nicht mit hineinziehen. Wir müssen einen Ausbruch vortäuschen, der dich nicht in Verdacht bringt.«
Wenig später stürmte Emmitt in heller Aufregung die Treppe vom Verlies hinauf.
»Den Schlüssel, den Schlüssel«, rief er, »ich brauche den Schlüssel!«
»Was, zum Teufel, ist los, Emmitt?« Gilbert Miller sah von seinem Abendessen auf.
»Der Spanier, ich glaube, er stirbt.«
»Was?«
»Er keucht und zuckt und hat sich erbrochen.«
»Verdammt, das hat uns gerade noch gefehlt.« Gilbert Miller stand auf und zog seinen gigantischen Schlüsselbund aus der Tasche. Gefolgt von Emmitt, hastete er die steinerne Treppe hinunter. Er blieb vor der Tür stehen und blickte durch das Guckloch. Julian kniete neben Rinaldo, dem eindrucksvoll der abendliche Haferschleim aus dem Mund quoll. Miller öffnete die Tür.
»Zurück, White!«
Er kam näher, und Julian stand auf und trat einen Schritt von Rinaldo weg.
Miller beugte sich über Rinaldo, der urplötzlich und erstaunlich geschickt hochschnellte und Miller beim Hals packte. Julian sprang wieder nach vorn und zog seinem überraschten Kollegen das Schwert aus der Scheide. Rinaldo ließ sein Opfer los und wischte sich den Haferschleim aus dem Gesicht.
»Einfach widerlich«, murmelte er.
»Die Tür, Emmitt!«, rief Miller.
»Emmitt, du bleibst schön da stehen, wenn du Miller nicht auf dem Gewissen haben willst.«
Emmitt blickte überzeugend verwirrt von einem zum anderen.
»Das würdest du nicht tun, White«, sagte Miller gepresst.
»Nein, würde ich das nicht? Das erstaunt mich, dass du mich für fähig hältst, Hochverrat zu begehen, aber nicht, dich abzustechen.«
Julian machte eine Bewegung mit dem Kopf in die hinterste Ecke.
»Da hinüber, Emmitt, ein bisschen plötzlich.«
»Emmitt, wenn du die Tür von außen zuschließt, sitzen sie in der Falle!«
»Dann bist du auf jeden Fall tot, Miller. Ich konnte dich sowieso noch nie leiden, du fauler Sack.«
In Julians Stimme klang jetzt so viel Abneigung mit, dass Gilbert Miller unsicher wurde.
»Emmitt, geh von der Tür weg und in die Ecke, oder willst du, dass ich ihn aufspieße.«
Emmitt machte ein paar Schritte in die gegenüberliegende Ecke. Rinaldo ging zur Tür.
»Das wirst du bereuen, White!« Miller schäumte.
Julian hieb ihm mit dem Schwertknauf auf den Kopf, sodass er bewusstlos zusammensackte.
»Wann erwartet ihr die Verstärkung aus Westminster? Ich will nicht, dass euch hier keiner findet.«
»Sie sollen heute Abend eintreffen. Ansonsten kommt morgen früh auf jeden Fall der Bursche, und eine Nacht können wir es hier aushalten.«
»Bist du sicher? Er ist ein ganz schöner Jammerlappen.« Julian deutete mit dem Schwert auf Gilbert Miller, der ihm zu Füßen lag.
Emmitt lachte.
»Ich komme zurecht, Sir.«
Julian deponierte den Schlüssel zum Verlies mitten auf dem Tisch, dann warf er einen kurzen Blick auf die Unterlagen, die die Geheime Kanzlei hier aufbewahrte. Rinaldo aß Gilbert Millers Abendbrot. Julian wusch sich, verband seinen Arm neu und zog eines von
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