Das Amulett von Gan (German Edition)
schau doch mal in den Spiegel Marah«, schlug Pendo vor. Chika schloss die Augen und bat den Spiegel um Hilfe, aber er zeigte nichts.
»Wir warten hier, bis die Sonne untergeht. Dann gehen wir weiter Richtung Osten«, entschied Joe. Keiner widersprach.
Erst als die Sonne nahezu untergegangen war, machten sie sich wieder auf den Weg. Joe schaute zu den Sternen und führte die Gruppe zielstrebig durch den dunklen Wald. »Wieso kennst du dich eigentlich so gut mit der Sonne und den Sternen aus, Joe?«, wollte Finn wissen, während er vorsichtig über einen herumliegenden Baumstamm kletterte.
»Die Sonne und die Sterne sind für uns Hopi sehr wichtig. Alle meine Vorfahren haben sie immer genau beobachtet. Vom Stand der Sonne hängt ab, wann wir unsere Feste feiern. Und zu jedem Sternbild gehört auch eine Geschichte«, erklärte Joe.
»Dann hast du so was wie Astronomieunterricht gehabt?«, fragte Finn.
Joe lachte: »Ja, das könnte man so sagen. Wisst ihr, wir Hopi sind sehr oft im Freien. Wenn ich mit meinen Eltern auf dem Maisfeld arbeite, reden sie über die Natur und den Verlauf der Sonne. Wenn wir abends vor unserem Haus sitzen, erklären sie mir die Namen der Sterne.«
»Klasse!«, sagte Finn anerkennend. »Bei mir zu Hause ist das ganz anders. Mein Vater muss fast immer arbeiten und hat nur selten Zeit für mich. Außerdem kann ich in der Stadt die Sterne eh nicht richtig sehen.«
»Das ist bei mir ganz ähnlich«, sagte Chika. »Mein Vater geht nach seiner Arbeit noch ganz oft mit seinen Kollegen weg. Ich sehe ihn meistens nur morgens, kurz nach dem Aufstehen.«
Obwohl der Mond in dieser Nacht recht hell schien, stellte sich der Fußmarsch als schwierig heraus. Öfter stolperten sie über herumliegende Zweige, blieben an Büschen hängen oder erschraken, weil ein aufgescheuchtes Tier direkt vor ihnen aufsprang. Obendrein hatte Joe Schwierigkeiten, im Wald die Himmelsrichtung zu bestimmen, denn er konnte die Sterne nicht immer erkennen. Trotzdem gingen sie weiter. So hatten sie wenigstens das Gefühl, voranzukommen.
Nach etwa einer Stunde stießen sie auf einen Trampelpfad. Obwohl es riskant war, nicht querfeldein, sondern auf ihmweiterzulaufen, entschieden sie sich dafür. Es war ein alter Weg, den hoffentlich nur die ursprünglichen Bewohner Gans kannten. Hier war das Gehen leichter, und sie kamen miteinander ins Gespräch.
»Mein Großvater«, begann Finn, »durfte mir nichts von Gan erzählen, mein Vater war dagegen. Er selbst hatte als Kind immer gehofft, der nächste Träger des Amuletts zu sein. Er trug es lange Zeit mit sich herum, aber nichts geschah. Diese Enttäuschung wollte er mir ersparen. An dem Abend, als er das Amulett auf meinem Nachttisch entdeckte, hatte er einen Streit mit meinem Großvater. Er vermutete, Opa würde dahinterstecken und hätte mir das Amulett gegeben. Dabei hatte ich es doch zufällig gefunden.« Als er »zufällig« sagte, musste Finn kurz lachen. »Später sagte mein Großvater zu mir, das Amulett habe mich gefunden. Damals konnte ich mir das gar nicht vorstellen, aber jetzt glaube ich es.«
»Dann hat dein Großvater dir also gar nichts von Gan erzählt?«, fragte Pendo.
»Nur in Form von Abenteuergeschichten, von denen ich dachte, sie seien erfunden. Jedes Mal, wenn ich in den Ferien bei meinen Großeltern zu Besuch war, hat er mir so eine Geschichte erzählt. Ich hielt sie alle für Märchen, aber als wir uns das letzte Mal unterhielten, an dem Tag, als ich hierher kam, machte er so eine Andeutung, als sei an diesen Geschichten mehr dran.«
»Sehr erfinderisch, dein Großvater«, sagte Chika schmunzelnd.
»Erzähl uns doch eine von diesen Geschichten!«, bat Joe.
»Au ja, bitte«, sagten Chika und Pendo wie aus einem Mund und mussten kichern. Alle genossen das Gespräch, das sie von der Gefahr um sie herum ablenkte.
»Gerne, wenn wir dabei nicht vom Weg abkommen und irgendwelchen Ungeheuern in die Arme laufen«, sagte Finn und lachte ebenfalls. Zum ersten Mal seit dem frühen Morgen fühlte er sich etwas entspannter.
»Einmal erzählte er, wie ein Handelsschiff auf einer einsamen Insel anlegte. Da sie auf keiner Seekarte verzeichnet war, wurden die Seefahrer natürlich neugierig und wollten sich diese neue Insel mal genauer anschauen. Sie gingen von Bord und ließen nur drei Männer zurück, um das Schiff zu bewachen. Die Seefahrer durchquerten die ganze Insel, fanden aber weder Bewohner noch irgendwelche Schätze. Enttäuscht kamen sie zum Schiff
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