Das Amulett
Wald strahlte Ruhe und Kraft aus; Tharador konnte fühlen, wie sie beides durchdrang. Alle Sorgen der letzten Mondphasen schienen von ihm abzufallen. Am liebsten hätte er sich für immer unter den schützenden Ast eines Baumes gesetzt.
Bis der Ast sich plötzlich bewegte und als fast fünfzehn Fuß lange Baumschlange entpuppte. Tharador wich erschrocken zurück und wäre um ein Haar in einen Busch mit dolchähnlichen Dornen gefallen, hätte Calissa ihn nicht im letzten Moment am Arm gepackt.
Die Schlange wand sich um einen der dicken Äste, der sich über den Gefährten dahinzog, und wechselte dabei ständig die Farbe, passte sich dem Erscheinungsbild einer harmlosen Baumranke an.
»Eine Wandelboa«, sagte Faeron, ohne dabei die Stimme merklich zu erheben.
Die Wandelboa war eine äußerst seltene Schlange, die man ausschließlich in Urwäldern antraf. Tharador hatte von diesen gefährlichen Tieren gehört, jedoch noch nie eines zu Gesicht bekommen. Die Wandelboa konnte die Farbe ihrer Schuppenhaut dem Untergrund anpassen, auf dem sie sich bewegte. So vermochte sie beinahe unsichtbar stundenlang auszuharren, bis ihr ein unvorsichtiges Opfer anheimfiel. Hatte die Boa ein Ziel ausgemacht, warf sie sich darauf und umschlang es mit ihrem kräftigen Leib, der ein einziger, langer Muskel war. Der Beute wurde die Atemluft geraubt, der Körper unter dem enormen Druck zerquetscht.
Tharador schluckte schwer, als er erkannte, wie knapp er gerade einem qualvollen Tod entgangen war. Aus der eisernen Umklammerung eines solch mächtigen Exemplars gäbe es kein Entkommen.
Faeron bemerkte seinen verstörten Blick und packte ihn an den Schultern. »Verstehst du nun, woher der Wald seinen Namen hat? Er mag auf den ersten Blick schön und friedlich wirken, aber tatsächlich lauert hier hinter jedem Baum der Tod. Sie hat dich gerade nur deshalb nicht angegriffen, weil wir sie erschreckt haben. Sie hat uns für die gefährlicheren Tiere gehalten.«
»Womit sie verdammt Recht hat!«, donnerte Khalldeg in seiner unbekümmerten Art heraus.
Tharador lief es kalt über den Rücken, als er sich erneut umsah. Wo vorher duftende Blüten seinen Blick erfreut hatten, stachen ihm jetzt giftige Stieldornen ins Auge. Die eben noch ausladenden Äste schienen sich nun bedrohlich zu ihm herabzubeugen, ganz so, als wollten sie nach ihm greifen. Saftiger Efeu entpuppte sich als grausame Schlingpflanzen. Der Paladin fragte sich plötzlich, ob die weichen Moosflächen nicht vielmehr dornenbewehrte Gruben verdeckten.
»Wir müssen hier sehr vorsichtig sein«, ermahnte Faeron sie alle. »Bleibt dicht beisammen.«
* * *
Vorsichtig schob Ul‘goth die Zweige eines niedrigen Busches beiseite, der sich an einen breiten Baumstamm lehnte. Sein Blick fiel auf eine kleine Lichtung, auf der zwei Goblins standen und sich aufgeregt unterhielten. Offenbar stellten sie die Überreste eines Spähtrupps dar, soviel konnte Ul‘goth ihrer Unterhaltung entnehmen. Sie befanden sich seit einer ganzen Mondphase hier draußen, und vor drei Tagen war der Rest ihrer Truppe von einer Wildkatze erlegt worden.
Die Goblins sprachen von bösen Waldgeistern und dass sie Crezik niemals hätten folgen sollen. Ul‘goth entschied, dass er genug gehört hatte, sprang aus seiner Deckung hervor und löste noch in der Luft den mächtigen Kriegshammer aus der Halterung am Rücken.
Die Goblins kreischten verängstigt auf. Sie waren sich uneins, ob sie fliehen oder kämpfen sollten, und zögerten deshalb einen Moment. Mehr als genug für den mächtigen Ork.
Ul‘goth überwand mit einem Satz die drei Schritte zwischen sich und den Goblins und führte den Hammer in einem weiten, waagerechten Schwung gegen seine Gegner. Die beiden Kreaturen konnten nicht einmal schützend die Hände heben.
Der Kriegshammer grub sich in den Brustkorb des einen Goblins, zerschmetterte sämtliche Knochen und trieb die Splitter durch die weiche Haut des Opfers. Er riss den zerfetzten, bereits leblosen, Körper einfach mit sich. Ul‘goth wurde in der Bewegung nicht langsamer, auch nicht, als der Schwung die Waffe mitsamt dem toten Goblin in dessen Kameraden krachen ließ.
Die Goblins segelten zehn Fuß weit durch die Luft und landeten unsanft in einem dornigen Gebüsch. Der Ork stürmte hinter ihnen her und fischte den zweiten Goblin, der das zweifelhafte Glück gehabt hatte, den Angriff zu überleben, aus dem Gewirr von Blättern und Dornen. Ul‘goth zog sich dabei mehrere kleine Schnittwunden an den
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