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Das Amulett

Das Amulett

Titel: Das Amulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan R. Bellem
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bedeckte Herbstlaub den Boden, doch die Bäume trugen noch alle Blätter und erstrahlten in sattem Grün.
    »Das ist wahrhaftig ein magischer Ort«, flüsterte Tharador ehrfürchtig.
    »Mehr noch«, pflichtete Faeron ihm bei, »die Quelle ist von den Göttern selbst gesegnet.«
    »Von den Göttern?«, fragte Calissa neugierig.
    »Eure Ältesten bringen euch auch gar nichts mehr bei«, polterte Khalldeg. »Jedes Zwergenkind weiß, dass die Quelle erschaffen wurde, um dem untoten Gott Llyraxis den Zugang zu sterblichen Seelen zu verweigern. Pah!«
    »Llyraxis«, wiederholte Tharador nachdenklich.
    »Für euch Menschen ist er nicht mehr als eine Gestalt eurer Albträume«, sagte Faeron. »Dein Volk hat viel Wissen über die Götter verloren. Aber ich versichere dir, Tharador, Llyraxis ist sehr echt, wie auch die anderen Götter.«
    »Ihr Menschen rennt durch euer Leben, ohne euch auch nur einmal umzublicken!«, stimmte Khalldeg dem Elfen zu.
    Tharador nickte stumm. Er war sich im Klaren darüber, dass sein Wissen über die Götter und die Vergangenheit des Kontinents sehr bruchstückhaft war, doch welchen Unterschied konnte es schon bedeuten? Die Menschen lebten ihr Leben, ganz gleich, ob sie einem Gott dafür dankten oder nicht. Tharador hatte gläubige Männer dieselben Fehler begehen sehen wie Ketzer. Die Götter waren nur Namen, weiter nichts. Und doch sträubte sich ein Teil von ihm, diese schlichte Wahrheit zu akzeptieren. Er selbst war der Beweis für die Leibhaftigkeit der Götter. Sie mochten schlafen, doch sie existierten!
    »In Alghors Namen!«, stieß der Paladin hervor, als der Wald sich plötzlich vor ihnen öffnete und den Blick auf einen See inmitten einer weiten Lichtung freigab.
    Ein zufriedenes Lächeln huschte über Faerons Lippen. »Die Quelle der Reinheit«, verkündete er.
    Tharador trat aus dem Schatten der Bäume auf die sonnenüberflutete Lichtung. Der Zauber des Waldes wirkte auch hier, und obwohl kein schützendes Blätterdach sich über ihm erstreckte, spürte er keinen Frost, der die Welt außerhalb der Trauerwälder bereits in seinen eisigen Klauen halten musste. Tharador spreizte die Finger, ließ die leichte Brise durch sie hindurchgleiten. Er sog die frische Luft tief in die Lungen. Seine Gefährten erfuhren etwas ähnliches – selbst Khalldegs Gesicht zeigte sanfte Züge und eine tiefe Zufriedenheit.
    An der Quelle der Reinheit war die Magie des Waldes am stärksten; Tharador vermeinte, dass er ohne zu zögern den Rest seines Lebens hier verweilen könnte. All die schlechten Erinnerungen an frühere Zeiten fielen von ihm ab. Er vergaß, dass er das Buch Karand zerstören sollte, vergaß sogar seinen Zorn auf Dergeron, seine Trauer über Queldans Tod. Alles wurde vom Wind davongetragen. Für ihn zählte nur noch der Augenblick, dieser vollkommene Augenblick im Herzen der Trauerwälder. Er schien einen ewig währenden Frieden gefunden zu haben.
    Es war Faeron, der ihn zurück in die Wirklichkeit holte. »Du darfst dich nicht verlieren, Tharador. Deine Seele wird von der Quelle angezogen, aber du darfst ihrem Verlangen nicht nachgeben.«
    Tharador zwang seinen Geist wieder unter seine Kontrolle und sah sich erneut um, diesmal ohne den von der Schönheit des Waldes verklärten Blick. Die Lichtung war kaum noch als solche zu bezeichnen, so weitläufig erstreckte sie sich. Tharador schätzte die Entfernung zum Wasser auf gute vierzig Schritte, die Quelle selbst – oder vielmehr der See – maß gewiss das Fünffache davon. In der Mitte des Sees entsprang eine Quelle und sprudelte in einer kleinen Fontäne wie ein natürlicher Brunnen.
    Erst jetzt bemerkte Tharador die Gestalt, die am Rande des Wassers stand; sie verschlug ihm den Atem. Es war ein Wesen, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte: halb Mensch, halb Tier.
    Der Körper ähnelte einem prächtigen, starken Hengst, größer als alle Pferde, die der Paladin je erblickt hatte. Doch wo der Hals und der Kopf des Tieres hätten beginnen müssen, saß der Oberkörper eines breitschultrigen Mannes. Sein grünes Haar hing in einer wilden Mähne bis auf den Pferderücken herab. Er stand von ihnen abgewandt, und es schien, als würde er sich unterhalten. Die linke Hand hatte er in die Hüfte gestemmt, die rechte schien etwas vor sein Gesicht zu halten. Auf seinen muskulösen Schultern hockten jeweils zwei schwarze Vögel; Tharador durchzuckte das Bild des Raben, der in Surdan die Versammlung gestört hatte.
    Die Gestalt streckte den rechten

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