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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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der
    Lage gewesen, etwas zu sagen: »Und da bist du mir lieber zuvorgekommen? Hast einfach etwas
    getan, das die Trennung provozieren musste, und damit war die Kuh vom Eis, oder
    wie?«
    Er war unter ihrer
    harschen Stimme zusammengezuckt. »Ich habe einfach etwas Bestätigung gesucht. Diese Frau ... es
    hätte jede sein können. Sie himmelte mich an. Sie gab mir das Gefühl, ein ungemein
    begehrenswerter Typ zu sein. Es war ... ein gutes Gefühl.«
    »Sie zu
    vögeln?«
    »Von ihr begehrt zu
    werden.«
    Sie war aufgestanden,
    hatte dabei erstaunt festgestellt, dass sich ihre Beine unsicher anfühlten.
    »Was soll das, Stephen?
    Was willst du mir jetzt sagen? Dass ich es versäumt habe, dich richtig anzuhimmeln? In dir
    einen Halbgott zu sehen? Dir jeden Tag aufs Neue zu versichern, dass du mich restlos
    beeindruckst und dass deine männliche Erscheinung, deine coole Art mich regelmäßig aus den
    Socken haut?«
    »Natürlich nicht. Ich
    wollte nur ... «
    »Genau das hast du mir
    aber eben mitgeteilt. Du bist in eine Bar gegangen, und ein junges Ding hat dich angehimmelt,
    und das war so wohltuend, nachdem du jahrelang unter der Kälte deiner Frau gelitten hast, unter
    den Unterlegenheitsgefühlen, die sie dir eingeflößt hat, dass du sofort in einen Flirt
    eingestiegen bist und das Mädchen anschließend gleich mit nach Hause genommen und dort
    vernascht hast, da ja deine Gattin günstigerweise gerade verreist war. Hinterher hattest du
    Schuldgefühle, aber von denen dürftest du kuriert sein, nachdem irgendeine neunmalkluge
    Therapeutin dir überzeugend klargemacht hat, dass deine Frau schließlich ohnehin selbst schuld
    an allem war. Kühl. Unnahbar. Karrierefrau! Ja, da muss sie sich schließlich nicht wundern,
    wenn sie betrogen wird!«
    »Du hast jetzt alles in
    den falschen Hals bekommen«, hatte Stephen gesagt, und es war ihm anzumerken gewesen, dass er
    es bitter bereute, das Thema auf den Tisch gebracht zu haben.
    Warum hatte er sie damit
    so durcheinander gebracht? Sie hatte nicht weiterlesen können. Sie hatte sich einen Tee
    gekocht, um etwas Ruhe zu finden, hatte trotzdem nur oberflächlich geschlafen und ab den frühen
    Morgenstunden überhaupt nicht mehr. Und nun rannte sie durch den Nebel, weil sie es in der
    Wohnung nicht mehr ausgehalten hatte.
    Sie kam an dem roten
    Backsteingebäude mit dem blau gestrichenen Dach vorbei, wo das Rettungsboot lag, das immer dann
    auslief, wenn irgendjemand draußen auf See in Not geraten war. Kleine Läden, in denen
    Sandwiches und Getränke angeboten wurden, reihten sich daran an, waren zu dieser frühen Stunde
    jedoch geschlossen. Sie sah die Fischkutter, die großen Schilder, auf denen Angelausflüge
    angeboten wurden, den weißen Leuchtturm an der Hafenausfahrt. Der Lunapark, ein Rummelplatz mit
    Riesenrad, Schaukeln und Buden, lag still und verlassen im Nebel, so als hätten hier nie
    Lichter geflimmert, Musik gedröhnt, Menschen geschrieen und gelacht. Alles war so still, so
    still und verlassen. Sie erreichte den Tidenhafen, betrat die hohen, hölzernen Stege, die ihn
    wie ein Geflecht durchkreuzten. Unter ihr dümpelten die Schiffe, schon bald würden sie im
    Schlick liegen. Die Ebbe hatte eingesetzt. Das Wasser lief ab.
    Sie blieb stehen. Wäre
    der Nebel nicht so dicht gewesen, sie hätte von dieser Stelle aus das Haus gesehen, in dem ihre
    Großmutter gelebt hatte. Eigentlich konnte man es von nahezu jedem Ort in der Südbucht aus
    sehen. Das große, strahlend weiße Gebäude hoch oben auf dem South Cliff.
    Stephen befand sich jetzt
    dort in der Wohnung. Wahrscheinlich schlief er noch.
    Sie sah ihn vor sich, ihn
    und sich selbst, in den Jahren, die sie zusammen verbracht hatten. Es stimmte, sie war die
    Ehrgeizigere, die Zielstrebigere gewesen. Sie hatte die besseren Noten während des Studiums
    kassiert. Sie hatte als Erste promoviert. Sie hatte ihren Facharzt vor ihm gemacht. Sie hatte
    sich häufig zu Fortbildungskursen angemeldet, während Stephen mit dem Erreichten zufrieden
    gewesen war und seinen täglichen Rhythmus gelebt hatte.
    Bezeichnenderweise war es
    schließlich auch eine ihrer Fortbildungen gewesen, die Stephen den Seitensprung ermöglicht
    hatte.
    War es wirklich noch
    immer ein Problem, selbst heute, im 2I.Jahrhundert? Konnten Männer, gebildete, intelligente
    Männer, es immer noch nicht ertragen, wenn die Frau an ihrer Seite erfolgreicher war als sie
    selbst?
    Und
    was sie noch stärker beschäftigte: Was hatte es mit dem Vorwurf

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