Das andere Kind
Frau solche Mengen Whisky trinken und danach noch aufrecht gehen kann!« -, kam er zu
der eigentlichen Neuigkeit.
»Amy
Mills hat ihren Abschluss zwar nicht an der Schule gemacht, an der Jennifer Brankley
unterrichtete«, hatte er gesagt, »aber sie hat im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren eine
andere Schule besucht - und raten Sie, welche!«
Valerie
hatte das Stück Toast in ihrem Mund rasch heruntergewürgt. »Jennifer Brankleys
Schule?«
»Genau.
Ein Kollege hat für mich vor Ort recherchiert und mir gerade eine Mail geschickt.«
Anerkennend hatte Valerie vermerkt, dass Reek
schon ausgesprochen früh am Tag offensichtlich vor seinem Computer zu sitzen
pflegte.
»Allerdings«, fuhr Reek fort, »hat Mrs.
Brankley nie die Klasse von Amy Mills unterrichtet. Insofern muss sie nicht gelogen haben, als
sie angab, den Namen nicht zu kennen. Es ist eine sehr große Schule. Ihr konnten nicht alle
Schüler bekannt sein.«
»Trotzdem. Es besteht die Möglichkeit, dass
es einen Kontakt gab. Über Vertretungsstunden beispielsweise. War Brankley damals schon
Vertrauenslehrerin? Amy Mills könnte sich dann mit irgendeinem Problem an sie gewandt
haben.«
»Das
weiß ich nicht«, musste Reek bekennen. »Finden Sie es heraus. Aber das war gute Arbeit, Reek.
Danke.«
Sie war
nach dem Gespräch zu erregt, um noch länger zu frühstücken. Während sie das Geschirr in die
Spülmaschine räumte, versuchte sie sich selbst zu beschwichtigen. Sie wusste, dass sie dazu
neigte, aufgeregt und hektisch zu agieren, wenn sich die Dinge nicht schnell genug
entwickelten, und der Fall Amy Mills dümpelte schon zu lange unbeweglich vor sich hin. Sie
fühlte sich unter Druck, weil sie wusste, dass ihre Arbeit von höherer Stelle kritisch
beobachtet wurde, dass man spätestens nach dem Mord an Fiona Barnes endlich ein Vorwärtskommen
registrieren wollte. Ohne dass ihr dies irgendjemand direkt gesagt hatte, spürte sie doch, dass
sie an einem entscheidenden, möglicherweise wegweisenden Punkt ihrer beruflichen Karriere
angelangt war. Ihr Ruf war der einer begabten, intelligenten, aber nervösen Beamtin, und hier
lag der Grund für einen Zustand, der inzwischen von ihr als Stagnation empfunden wurde. Ihre
Beförderung blockierte, weil man nicht sicher war, ob ihr Nervenkostüm höheren Belastungen
gewachsen sein würde.
Sie
musste die Fälle Mills und Barnes, die möglicherweise ein einziger Fall waren, rasch lösen,
aber sie musste dabei die Ruhe bewahren und durfte keine voreiligen Schritte unternehmen. Weder
durfte sie es als gegeben voraussetzen, dass die Morde ein und demselben Täter zuzuschreiben
waren, obwohl manches darauf hindeutete, noch durfte sie sich unter Ausblendung aller anderen
Möglichkeiten auf Jennifer Brankley einschießen, nur weil diese ihren Job verloren hatte und
psychisch angeschlagen und verbittert wirkte.
Nicht nur das, dachte
sie, es ist auch so, dass sie beide Opf er kannte. Fiona Barnes auf jeden Fall. Und bei Amy Mills besteht eine sehr starke
Möglichkeit. Sollte sich diese bewahrheiten, würde man sich die Frage stellen müssen, weshalb
sie abgestritten hatte, überhaupt nur den Namen je gehört zu haben. Bevor er zumindest im Raum
Scarborough ohnehin in aller Munde war.
Sie beschloss am Mittag auf die
Beckett-Farm zu fahren. Sie wollte Jennifer Brankley mit ihren neuen Erkenntnissen
konfrontieren und ihre Reaktion genau beobachten.
Ihr Gespräch am Vortag mit Paula Foster
hatte nicht viel gebracht, genau genommen hatte es bloß dazu geführt, dass sie das junge
Mädchen von der Liste potenzieller Opfer gestrichen hatte und sich darin zu fast hundert
Prozent sicher fühlte. Es gab keinen Anhaltspunkt dafür, dass Foster im Blickfeld eines Killers
hatte stehen sollen, es sei denn, man ging davon aus, dass es jemand auf junge Frauen im
Allgemeinen abgesehen hatte, und dann war Foster so wahrscheinlich wie Tausende andere auch.
Paula Foster kannte weder Dave Tanner noch Jennifer Brankley. Sie arbeitete noch nicht lange
auf der Farm und war von morgens bis abends so sehr eingespannt, dass sie gar nicht die Zeit
fand, Kontakte in der Umgebung zu schließen. Sie würde Ende des Jahres nach Devon zurückkehren.
Sie hatte die Leiche einer alten Frau am Rand einer Schafweide gefunden, und es sah so aus, als
werde dies das einzig einschneidende Erlebnis sein, das sie als Erinnerung an ihre Zeit in
Yorkshire mit in die Zukunft nehmen konnte.
Valerie putzte
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